Aus der Welt
sie kalt.
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Und herausgefunden, dass von Stephen Leacock in Kanada nur noch vier vollständige Ausgaben der Original-Erstauflage von 1903 zum Verkauf stehen. Drei davon werden von Händlern aus Toronto angeboten, was bedeutet, dass sie zwischen 17 000 bis 24 000 Dollar für diese Ausgabe verlangen.«
»Warum ist die in Victoria dann so viel billiger?«
»Weil es ein unabhängiger Buchhändler ist. Er hat eine Garagenfirma neben seinem Haus und somit weniger Fixkosten. Außerdem hat er die Erstausgabe auf einem Flohmarkt erworben – und möchte sie schnell loswerden.«
»Haben Sie seine Seriosität überprüft?«
»Natürlich«, sagte ich, griff in meine Schreibtischschublade und gab ihr ein Dokument. »Es ist wirklich erstaunlich, was man im Netz alles finden kann. Ich habe ihn auch gebeten, Kopien der Frontispize sämtlicher Bücher zu machen. Außerdem habe ich einen pensionierten Leacock-Spezialisten ausfindig gemacht, der in Victoria lebt. Und für eine Summe von 250 Dollar mehr als bereit ist, sich unsere Investition anzusehen, bevor wir 9000 Dollar hinblättern.«
»Ist das sein letztes Angebot?«
»Wenn man bedenkt, dass ich ihn von dreizehntausend runtergehandelt habe, ja.«
Sie zuckte zusammen.
»Woher wollen Sie wissen, dass sich der Wert der Ausgabe in den nächsten fünf Jahren verdoppeln wird?«
»Lesen Sie sich die Unterlagen durch, die ich Ihnen ausgedruckt habe – auch die vom Verband der kanadischen Antiquare, in denen auf die Seltenheit dieser Ausgabe hingewiesen und erwähnt wird, dass sich der Wert in den nächsten zehn Jahren vervielfachen wird. Sie werden sich bei der Bibliotheksleitung beliebt machen, wenn Sie diese Ausgabe erwerben, glauben Sie mir.«
Doch ich sollte bald merken, dass Marlene Tucker dem Scharfsinn anderer misstraute, außer, sie konnte ihr eigenes Image damit aufpolieren.
Als sie ankündigte, dass sie »zum geeigneten Zeitpunkt« entscheiden werde, gab ich zu bedenken, dass der Händler den Preis nur für die nächsten sieben Tage garantieren könne. Daraufhin schenkte sie mir ein verkniffenes Lächeln und meinte: »Vielleicht rufe ich heute Abend Mr Henderson an.«
Stockton Henderson war der Vorsitzende der Bibliothek – ein wichtiger Firmenanwalt der Stadt, der sehr eingebildet war. Er behandelte die Bibliothek, als gehörte sie ihm persönlich, und lief darin herum wie Charles Foster Kane auf einem Inspektionsrundgang. Als die Leacocks sieben Tage nach meinem Gespräch mit Marlene Tucker geliefert wurden, schaute er persönlich vorbei, um sich die Ware anzusehen. Sie lag ausgebreitet auf einem Schaukasten im Besprechungsraum. Ich wurde von Mrs Woods dazugebeten, um den »hohen Herrn« persönlich kennenzulernen.
Alle hatten mir erzählt, dass Stockton Henderson ein moderner Babbitt sei – aufgeblasen, arrogant und ohne Umgangsformen. Aber nichts hatte mich, Mrs Woods oder Marlene Tucker auf seine erste Bemerkung vorbereitet: »Sie sind also die Harvard-Frau mit dem toten Kind …«
Das Schweigen, das nun folgte, war erdrückend, was auch Stockton Henderson nicht entging.
»Habe ich etwas Falsches gesagt?«, fragte er Marlene Tucker.
»Überhaupt nicht«, sagte ich und beschloss, das Spiel mitzuspielen. »Sie haben in beiden Punkten recht: Ich habe einen Doktortitel aus Harvard, und meine Tochter wurde von einem Auto überfahren und starb.«
Stockton Henderson zuckte nicht mal mit der Wimper, als ich ihm das direkt ins Gesicht sagte. In dem Moment wurde mir klar, dass der Mistkerl die Bemerkung nicht zufällig aus reiner Gedankenlosigkeit, sondern mit Absicht gemacht hatte, um mich zu provozieren. Allein, dass ich so kühl darauf reagierte, imponierte ihm.
Nachdem er meine Antwort mit einem kurzen Kopfnicken zur Kenntnis genommen hatte, sagte er: »Ich habe mir Ihre Unterlagen zum Ankauf der Leacock-Ausgabe angesehen. Man merkt, dass Sie in Harvard waren – und auch, dass Sie geschäftstüchtig sind. Dass Sie nach vorn schauen, wenn es darum geht, den Wert des Bibliotheksbestands zu erhöhen. Meinen Sie nicht auch, Mrs Woods?«
»Zweifellos. Jane hat hervorragende Arbeit geleistet.«
»Und was würden Sie sagen, Mrs Woods, wenn ich mit der Regierung in Edmonton rede, ob er nicht eine Summe von etwa einer halben Million Dollar bereitstellt, um den Bibliotheksbestand zu vergrößern?«
»Sie meinen, zusätzlich zu den 400 000, die bereits bewilligt wurden?«, erkundigte
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