Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
Vom Netzwerk:
la noblesse oblige und verabscheute die Protzigkeit der meisten menschlichen Anstrengungen. Sie zählte zu den bedeutendsten Historikern der Kolonialgeschichte seit Perry Miller. Ihr Buch Amerikanische Theokraten: ein neuer Ausflug in die Geisteswelt der Puritaner erregte bei der Kritik beachtliche Aufmerksamkeit, darüber hinaus war sie Professorin am renommierten Wellesley College. Außerdem hatte sie eine schrecklich gute Partie gemacht. Ihr Mann war ein Investmentfonds-Star namens Fredrick Cowett: Princeton, Wharton, großer Familienbesitz in Wells, Maine, und ein eigenes Haus in Beacon Hill, wo sie auf Rosen gebettet und elegant mit ihren beiden kleinen Söhnen wohnten.
    Sara war erstaunlich. Die Frau machte keinen falschen Schritt, nahm nie einen Umweg und eilte von Erfolg zu Erfolg. Als sie mich an der New England State anrief und mich zum Abendessen einlud, war sie sehr herzlich und begeistert. Sie meinte, sie habe bereits von ihren Spionen gehört, dass ich mich in der Sache mit dem Sportler gegen Ted Stevens durchgesetzt hätte. Sie sei so stolz auf mich, dass ich noch eine Moral besäße – in Zeiten, wo jeder nur noch an seine Karriere denkt.
    »Wie dem auch sei, die New England State ist eindeutig nur eine Zwischenstation für dich auf dem Weg zu Höherem.«
    Im Klartext hieß das: Was hat eine Harvard-Intellektuelle wie du an so einer drittklassigen Universität zu suchen?
    Dann wechselte sie das Thema und erwähnte das Abendessen, zu dem sie mich übernächsten Freitag einladen wollte.
    Ja, ihr Haus war fantastisch und dezent, aber mit untrüglichem Geschmack eingerichtet. Nicht mal Frederick entpuppte sich als Langweiler. Stattdessen schien er auf eine wohlerzogene, nette Art charmant zu sein. Er war einigermaßen belesen und fühlte sich durchaus wohl in der bunten Gästeschar, die Sara an jenem Abend zusammengetrommelt hatte.
    Auch das war faszinierend an Sara Crowe – trotz ihrer elitären Herkunft liebte sie Exzentriker und Leute, die keine Hemden und Bermudas von Brooks Brothers trugen. Deshalb freundete sie sich in Harvard auch mit Christy an – obwohl »La Poète« (wie Sara sie nannte) so gar nicht ihre zugeknöpfte Art hatte und es liebte, ihre Freunde heftig zu schockieren, um sie anschließend sprechdurchfallartig an ihrem Bewusstseinsstrom teilhaben zu lassen.
    Wahrscheinlich brauchte Sara solch extreme Freunde, um der prüden Welt, in der sie lebte, zu zeigen, dass sie nicht ausschließlich zu ihr gehörte, sondern dass in ihren Kreisen auch Künstler, Schriftsteller und sogar so ein verrückter Filmarchivar wie Theo Morgan verkehrten.
    Sara kannte Theo, weil sie im Leitungskomitee des Harvard Film Archive saß, aber auch weil sie in ihm schon früh einen ausgemachten Sonderling erkannt hatte.
    »Glaub bloß nicht, ich will euch verkuppeln, nur weil ich ihn neben dich setze«, flüsterte mir Sara rasch in einer Ecke ihres Wohnzimmers zu, bevor wir alle das gediegen eingerichtete Esszimmer betraten, um uns von zwei livrierten Kellnern bedienen zu lassen. »Aber ich kann dir versprechen, dass du mit Theo an deiner Seite einen wesentlich unterhaltsameren Abend haben wirst, als wenn ich dich neben Clifford Clayton platziere – der seinen Stammbaum für dich bis zur Mayflower zurückverfolgen und ellenlang über Derivate reden wird.«
    Sara hatte recht. Obwohl ich mich erst mal an seinen Redefluss gewöhnen musste, war Theo Morgan ein ausgezeichneter Gesprächspartner.
    »Weißt du, woran mich das hier erinnert?«, sagte er laut, als er sich neben mich setzte. »An Der Glanz des Hauses Amberson. «
    »Ich wusste gar nicht, dass heute noch jemand Booth Tarkington liest«, sagte ich.
    »Der Film ist besser als das Buch – das mehr oder weniger eine bessere Seifenoper ist.«
    »Es kommt selten vor, dass der Film besser ist als das Buch«, erwiderte ich.
    »Du meinst, Mario Puzos Der Pate ist ein Meisterwerk, aber der Film ist Trash?«
    »Huch.«
    »Und was ist mit Der Schatz der Sierra Madre ? B. Travens Roman ist zwar nicht schlecht, aber Hustons Film …«
    »Bitte erinnere mich daran, dich nie wieder in Filmfragen zu provozieren.«
    Er schenkte mir ein dreckiges Grinsen.
    »Aber ich lasse mich gern provozieren«, sagte er.
    Wie ich rasch merkte, gefiel mir die Provokation von Theos Gesellschaft. Gegen Ende des Essens – während dessen ich kaum mit meinem anderen Sitznachbarn gesprochen hatte –, bat er mich, meine Telefonnummer in ein kleines schwarzes Notizbuch zu schreiben, das er

Weitere Kostenlose Bücher