Aus der Welt
Master auf der Columbia gemacht), um dafür zu sorgen, dass Theo ein Vollstipendium bekam.
»Als Dad entdeckte, dass ich mich heimlich an der Columbia beworben hatte, machte er seine Drohung wahr und polierte mir tatsächlich die Visage. Nach diesem Angriff kam ich mit zwei blauen Augen zur Schule. Mr Turgeon bestand darauf, mit mir zum Direktor zu gehen. Unser Direktor war einer von diesen dämlichen Patrioten und außerdem noch Diakon der örtlichen presbyterianischen Kirche. Aber selbst er war entsetzt, dass mich mein Vater so zugerichtet hatte, bat ihn zu sich und sagte, dass er kein Recht dazu hätte, mir den Weg zu verbauen, wenn ich ein dickes Stipendium an einer Elite-Uni bekommen hätte. Sollte er mich je wieder schlagen, würde er ihn anzeigen.
Nach diesem Treffen weinte meine Mutter stundenlang und wollte wissen, warum ich mich an die Behörden gewandt und gepetzt hatte. Mein Vater dagegen befahl mir nur, das Haus zu verlassen und nie mehr zurückzukommen.«
»Und du warst damals gerade achtzehn?«, fragte ich.
»Genau das richtige Alter, um abzuhauen – vor allem, wenn man gerade eben ein Vollstipendium bekommen hat. Damit ist man dem elterlichen Einflussbereich endgültig entzogen.«
Ich wusste nur zu gut, wie befreiend ein solches Stipendium sein kann. Als er mit trockener Ironie von seiner schrecklichen Familie erzählte und dem Schmerz, die sie ihm zugefügt hatte, wusste ich sofort, dass ich mich in ihn verlieben würde. Suchen wir uns nicht meist einen Partner aus, der Ähnliches erlebt hat wie wir selbst und uns deshalb versteht? Ich war mir auf Anhieb ziemlich sicher, dass unser geteiltes familiäres Leid – und unsere Art, uns davon zu befreien – bedeutete, dass Theo mich verstand und umgekehrt.
Als er auf der Columbia war, brach er jede Verbindung zu seinen Eltern ab. Er kehrte nie mehr nach Hause zurück. In New York fand er innerhalb von drei Monaten einen Teilzeitjob als Hilfsarchivar in der Filmabteilung des Museum of Modern Art. Er behielt den Job während der vier Jahre an der Columbia – an der er Vorsitzender des Filmclubs, Filmkritiker für die Studentenzeitung und ein Stammgast jedes unabhängigen Kinos in der ganzen Stadt wurde.
Mit zweiundzwanzig Jahren, einem hervorragendenAbschluss und einer mietpreisgebundenen Einzimmerwohnung an der Ecke Amsterdam Street und 118. Straße war ihm ein fantastisches Leben in der großen Metropole vorherbestimmt. Columbia bot ihm sogar noch ein Vollzeitstipendium an, damit er seinen Doktor in Filmwissenschaften machen konnte. Auch die University of California kontaktierte ihn, stellte ihm ebenfalls ein Promotionsstipendium und eine Dozentenstelle an ihrer filmwissenschaftlichen Fakultät in Aussicht.
»Ich hatte alle diese Angebote, wollte aber keines davon annehmen«, sagte er. »Vielleicht war es mangelnder Ehrgeiz, wie viele meiner Tutoren am College behaupteten, aber ich träumte nur davon, das Programm für ein Kino zusammenzustellen.«
Also willigte er ein, Leiter der Anthology Film Archives in Manhattan zu werden. »Es gab 150 Dollar die Woche, und ich war überglücklich, zumal man bei den Film Archives machen konnte, was man wollte. Ich meine, das war der feuchte Traum eines jeden Cineasten – eine echte Nische, in der ich eine ganze Spielzeit lang nur ostdeutsche Musicals zeigen konnte, ohne dass jemand auch nur das Geringste dagegen hatte. Die Stelle war wie für mich gemacht. Ich konnte problemlos erst mittags anfangen und bis acht oder neun Uhr abends arbeiten. Den Rest der Nacht blieb ich auf und sah mir Filme an.«
Fünf Jahre lang machte er fröhlich die Nacht zum Tag und stellte abgefahrene Programme für die Film Archives zusammen: obskure tschechische Animationen, vergessene antikommunistische B-Movies aus der McCarthy-Ära, die großen albernen Klassiker des japanischen Science-Fiction-Films, alle James-M.-Cain-Verfilmungen, die je gedreht wurden …
Theo sprudelte nur so vor Filmwissen. Er war ein Schnellredner, aber das, was er sagte, war immer geistreich und fundiert, sodass ich mich schnell an sein Tempo gewöhnte. Leidenschaft kann sehr verführerisch sein.
Er war nur 1,68 m groß und hatte eine widerspenstige schwarz gelockte Wolle auf dem Kopf, ein Ziegenbärtchen wie Frank Zappa und einen kleinen Bauch (er hasste jede Form von Sport). Er trug stets eine schwarze Levi’s 501 in Größe 36, ein schwarzes T-Shirt und eine alte schwarze Bomberjacke aus Leder. Obwohl er nicht im eigentlichen Sinne gut
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