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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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aufrichtig besorgt angesichts dieser Neuigkeit.«
    »Ich war nur nicht darauf vorbereitet.«
    Diese Reaktion war typisch für Sara. Sie liebte ihre exzentrischen Freunde, hatte aber eine eher viktorianische Vorstellung von der Liebe: Man kann zwar ab einem gewissen Alter mit einem verrückten Künstler ins Bett gehen, sollte sich aber letzten Endes einen vernünftigen Mann mit einem anständigen Job suchen, der einem ein schönes Leben bietet. Dass ich jetzt mit Theo Morgan zusammen war, war in ihren Augen keine besonders prickelnde Vorstellung.
    »Ich mag Theo wirklich«, sagte sie. »Und natürlich besteht immer noch die Möglichkeit, dass ein wichtiger Filmrezensent aus ihm wird. Aber, und das ist kein großes Aber – er ist mit Sicherheit kein geeigneter Kandidat zum …«
    »Ich verstehe, was du meinst«, sagte ich.
    »Ich wollte dich nicht beleidigen.«
    »Nein, nein«, sagte ich.
    Christy lernte Theo ein paar Wochen später kennen, als sie in Boston war, um im Eliot House zu lesen. Sie war auf Anhieb von ihm begeistert. Wir gingen nach ihrer Dichterlesung, zu der erwartungsgemäß gerade mal dreißig Lyrikinteressierte gekommen waren, gemeinsam essen. Es spielte keine Rolle, dass Christy mit ihrem zweiten Gedichtband in die Endauswahl zum Pulitzerpreis gekommen war. Lyrik ist in unserer Kultur nun mal nicht besonders kommerziell erfolgreich.
    Aber zu meinem Erstaunen hatte Theo richtig Ahnung, was die amerikanische Lyrik der Moderne betraf. Beim Abendessen tauschte er sich mit Christy über alles und jeden aus, angefangen von Hart Crane über Howard Nemerov bis hin zu Auden. Als er verschwand, um aufs Klo zu gehen, schenkte mir Christy ein wissendes Lächeln und sagte: »Wenn ich hier leben würde, würde ich ihn mir sofort unter den Nagel reißen. Aber ich mag bekanntlich Leute mit Zwangsstörungen.«
    »So schlimm ist er auch wieder nicht«, sagte ich.
    »O doch. Aber es gibt nichts daran auszusetzen, ein fantastischer Fall von Entwicklungshemmung zu sein. Du unterrichtest schließlich auch Literatur, genau wie ich. Auf irgendeine Weise sind alle Schriftsteller geschädigt. Und glaub mir, ich habe eine Nase dafür. Aber es gibt ›böse geschädigte Psychos‹ und ›nette Geschädigte‹ – etwas durchgeknallt, aber interessant. Dein Typ fällt in letztere Kategorie.«
    »Du gibst mir also deinen Segen … wenn auch nicht ohne Vorbehalte.«
    »Ich halte ihn für superintelligent, aber auch für super-kompliziert. Wenn du damit klarkommst, solltest du den Kerl heiraten. Aber nur unter einer Voraussetzung: Wenn du auch nur ansatzweise glaubst, ihn ändern zu können – vergiss es! Er ist ziemlich eigen, und wird es auch immer bleiben.«
    Was das anbelangte, hatte Christy sicherlich recht. Er weigerte sich strikt, vor zwölf Uhr mittags aufzustehen. Er begann den Tag mit einer Kanne extrastarkem Espresso. Es musste eine ganz bestimmte Kaffeemarke – Lavazza – sein, und er benutzte ausschließlich eine dieser kleinen, altmodischen Espressokannen, die man auf den Herd stellt. Während der Kaffee kochte, aß er eine Schüssel mit extrasüßen, ungesunden Frühstücksflocken namens Captain Crunch – aber ohne Milch, denn die konnte er nicht ausstehen. Danach setzte er sich an seinen Schreibtisch und arbeitete wie jeden Tag zwei Stunden an seinem magnum opus , einer Geschichte des amerikanischen Kinos – »das rechthaberischste und eigenwilligste Filmbuch in ganz Amerika« –, mit dem er (davon war er überzeugt) sofort zum renommiertesten Filmkritiker des Landes aufsteigen würde. Vorausgesetzt, er schaffte es, das verdammte Ding jemals fertig zu schreiben. Nicht, dass Theo dafür nicht diszipliniert oder fleißig genug gewesen wäre. Das Problem bestand vielmehr darin, dass es so dick war: 2130 Manuskriptseiten, und er befand sich noch nicht einmal in den 1960er-Jahren. Ich hatte den Eintrag zu Orson Welles gelesen – ein Privileg, das er mir einräumte, nachdem ich ihm versprochen hatte, nicht allzu kritisch zu sein. Und ich war überrascht, wie geistreich, wohlformuliert und intelligent der Text war. Aber eben auch von dem Ausmaß seines Vorhabens.
    Als ich ihn bat, mehr lesen zu dürfen, lehnte er ab und sagte, er hätte mir lieber gar nichts zeigen sollen, denn jetzt würde mich der Rest des Buches bestimmt enttäuschen. Und er dürfe auf keinen Fall zulassen, dass sein Schreibprozess leide, indem er mich etwas lesen ließe. Er war so nervös und gestresst, als er mir das sagte, dass ich mich

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