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Aus der Welt

Aus der Welt

Titel: Aus der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Kennedy
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einzureichen. Als sich Harvard meldete und sie zu einem Vorstellungsgespräch einlud, sagte sie: »Ich möchte nicht, dass Sie sich dort für mich verwenden.«
    »Aber so funktioniert das nun mal, Lorrie.«
    »Nicht bei mir. Wenn mich Harvard will, dann nicht wegen meines Autismus. Wenn ich herausfinde, dass Sie vorher mit denen gesprochen haben, werde ich das Angebot ablehnen.«
    »In Ordnung, ich verspreche Ihnen, vorläufig nichts zu unternehmen.«
    In Wahrheit hatte ich das Zulassungsamt sowie den Vorsitzenden der Anglistik-Fakultät bereits angerufen und von Lorrie Quasthoff geschwärmt. Aber das brauchte Lorrie ja nicht zu wissen. Ich war durchaus bereit, mich an ihre Anweisung zu halten und von nun an nichts mehr zu sagen. Aber als mich das Harvard-Zulassungsamt darum bat, verfasste ich ein ausdrückliches Empfehlungsschreiben.
    Ihre Zulassung war eine Sensation an der New England State, wobei die Verwaltung in keiner Weise darauf reagierte. Stephanie Peltz verriet mir, dass El Presidente gar nicht begeistert sei. Seiner Meinung nach wäre es für die Universität prestigeträchtiger gewesen, diese begabte (sprich: autistische) Studentin zu behalten. Und warum müsse diese verdammte Howard die Uni eigentlich schon wieder bloßstellen?
    Wir feierten Lorries Zulassung mit einem Mittagessen im Charles Hotel in Cambridge. Ich durfte aus verständlichen Gründen keinen Alkohol trinken, überredete Lorrie aber, ein Glas Champagner zu bestellen. Sie wirkte ein wenig ängstlich, als ihr der Kellner einschenkte, und fuhr bestimmt eine Minute lang nervös über den Stiel ihres Glases, bis ich schließlich sagte: »Davon werden Sie sich schon nicht in einen Kürbis verwandeln. Sie haben sich dieses Glas Champagner verdient. Man wird schließlich nicht alle Tage in Harvard angenommen. Also los, kosten Sie davon!«
    Mit großer Vorsicht hob sie das Glas an ihre Lippen und kniff die Augen zu, als könnte sie sich an dem Getränk die Lippen verbrennen. Dann nahm sie einen winzig kleinen Schluck. Sie öffnete die Augen wieder. Sie schien überrascht, nicht daran gestorben zu sein, also gönnte sie sich einen weiteren vorsichtigen Schluck.
    »Gar nicht schlecht«, sagte sie. »Aber Cola ist mir, glaube ich, doch lieber. Sie dürfen wegen des Babys nichts trinken, nicht wahr?«
    Ich hatte ihr gegenüber nur einmal vor einigen Wochen erwähnt, dass ich ein Kind erwartete. Ihre Reaktion hatte nur in einem Nicken bestanden, daraufhin hatte sie das Thema gewechselt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie kein Wort mehr darüber verloren.
    »Ja«, sagte ich. »Die Ärzte empfehlen, während der Schwangerschaft keinen Alkohol zu trinken.«
    »Freuen Sie sich auf das Kind?«
    »Ich denke schon, ja«, sagte ich.
    »Sie sind also nicht ›überglücklich‹?«
    »So was wie ›überglücklich‹ gibt es nur in dämlichen Frauenzeitschriften.«
    »Sie wollen also gar nicht schwanger sein?«
    In solchen Momenten fiel es schwer, zu beurteilen, ob Lorries direkte Art eine Begleiterscheinung ihres Autismus war oder ihre schlichte Unfähigkeit, ein feinsinniges Gespräch zu führen (außer es ging um Literatur).
    »Nun ja, ich bin schwanger«, sagte ich.
    »Das ist keine überzeugende Antwort.«
    »Ich weiß, dass ich das Kind lieben werde, wenn es erst mal da ist.«
    »Alle sagen, Ihr Mann ist ein Spinner.«
    »Er ist nicht mein Mann – und wer ist ›alle‹?«
    »Das verrate ich nicht.«
    »Er ist kein Spinner. Ich mag ihn sehr.«
    »Ist er auch ein Autist?«
    »Alle Männer sind ein bisschen autistisch.«
    »Ich meine, ist er ein echter Autist?«
    Vorsicht, Vorsicht!
    »Nein.«
    »Wie ist die Liebe?«
    »Kompliziert.«
    »Wirklich?«
    »Das hängt ganz davon ab.«
    »Sie meinen, wie damals in Harvard, als Sie mit dem Professor im Bett waren?«
    Lorries Gesicht zeigte keinerlei Regung. Sie merkte gar nicht, was ihre Bemerkung in mir auslöste.
    »Woher wissen Sie das?«, fragte ich.
    »Das weiß doch jeder. War es Liebe?«
    »Ja, das war eindeutig Liebe.«
    »Und weil er verheiratet war, war es kompliziert?«
    »Ja, das machte es kompliziert.«
    »Er ist gestorben, oder?«
    »Ja.«
    »Waren Sie traurig?«
    »Ich war noch nie in meinem Leben so traurig.«
    Auch nach dieser Bemerkung zeigte Lorrie keinerlei Regung. Sie nickte nur nachdrücklich.
    »Emily Dickinson hat also recht: Liebe ist die ›Stunde aus Blei‹.«
    »Ich glaube, sie meinte eher deren Verlust.«
    »Aber Liebe ist doch Verlust – oder?«
    »Oft schon, oft ist Liebe genau

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