Aus Licht gewoben
stachen mich, und aus meinem Mund kam ein gequälter Schrei. Es war schlimmer als ein gebrochener Arm, schlimmer als auf glühend heiße Felsen zu stürzen. Schlimmer als alles, was ich jemals gefühlt hatte.
»Wayland«, schrie Lady Aphra. »Wach auf!«
Norths Gesicht schwebte über mir, und vor meinen Augen tanzten schwarze Punkte. Erst, als er mein Gesicht in die Hände nahm, verschwanden sie kurz. Augen, Nase, Lippen, Wangen, Handschuhe. Er hatte seine Handschuhe wieder angezogen.
»Syd«, sagte er. Seine Stimme kam mir so nah vor, und langsam fühlte ich, wie eine seiner Hände mit Kraft Kreise auf meiner Brust beschrieb, über meinem Herzen. Mir fielen die Augen zu, ich konnte sie einfach nicht offen halten.
»Was hat sie zu sich genommen?«, fragte North scharf. »Was hat sie gegessen? Getrunken?«
»Nur Milch und ein belegtes Brot«, antwortete Lady Aphra. »Die Heilerin ist schon auf dem Weg. In dem Sturm wird sie allerdings Schwierigkeiten haben, den Hügel hinaufzukommen. «
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte North eindringlich. »Gehen Sie in den Garten und bringen Sie mir Thymian und Herzwurz. Und ich brauche meine Tasche und eine verdammte Schüssel, schnell!«
»Der Schnee …«, begann Lady Aphra. Ja, der Schnee, der Schnee. Meine Gedanken hielten sich an diesem Wort fest, während sich mein ganzer Körper vor Schmerz verkrampfte und ich wieder aufschrie. Der Schnee …
Neben meinem Gesicht fiel etwas Schweres zu Boden. Ich fühlte, wie der Boden erzitterte, und die Stimme, die darauf folgte war um einiges schwerer zu erkennen.
»Bleich … sie herausgezogen … Hände …«
Ein paar starker Arme zog mich hoch, obwohl meine Glieder bleischwer waren. Ich war eine Masse aus Haut und Knochen, leblos, eiskalt. Etwas Warmes wurde um mich gewickelt, und hinter meinen geschlossenen Lidern war etwas Rotes zu erahnen.
Ich konnte North spüren, bevor er zu hören war. Diese Wärme, die ich mit ihm verband, drang ganz kurz durch meine Haut, dann war sie fort. Mein Rücken war gegen seine Brust gelehnt und seine große Gestalt umgab mich fast vollständig. Sein Herz raste.
»N… Nor…«, stieß ich hervor. »Bitte hilf mir, bitte, es tut so schrecklich weh. Ich kann nicht atmen. Bitte …«
»Alles wird gut«, beruhigte er mich. »Ich halte dich fest. Ich lasse dich nicht los.«
Dumpfe Schläge und Schreie umgaben mich. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte ich, die gellenden Schreie kämen von mir, doch mein Hals und meine Stimme waren wie eingefroren. Ich konnte nicht atmen. Ich konnte nicht atmen.
»Schließen … die Tür!«
»Sturm … Hilfe …«
»Hierher!«, befahl North. Er wandte das Gesicht meinem Ohr zu, und ganz kurz konnte ich wieder spüren, wie seine Hand über meine Brust kreiste. »Tief durchatmen, Syd. Ich bin hier. Ich weiß, dass es weh tut, aber du musst weiteratmen, mein kleiner Dickkopf.«
Ich keuchte und hob mühsam die Hände von meinem Schoß, um gegen die imaginären Finger, die mir den Hals zudrückten, anzukämpfen. Alles war dunkel, träge und kalt, bis auf Norths Handschuh und seine festen, ungleichmäßigen Kreise. Dieser Handschuh und mein Herzschlag, der nun langsamer wurde.
»Jetzt den Herzwurz dazugeben, nur zwei Tropfen, mehr könnte sie umbringen. Geht es vielleicht etwas schneller? Geben Sie mir die Schüssel, ich mache das lieber selbst. So, jetzt stellen Sie es auf das Feuer. Haben Sie denn noch nie das Gegenmittel für Kulde hergestellt?«
»Wayland, bitte …«
»… der Sturm … mehr davon …«
»Das Mädchen …«
»… Sydelle … sehen Sie … sie wird nicht…«
»Ruhe!«, donnerte North, und augenblicklich trat Stille ein.
Sein Körper zitterte vor Erregung, und er atmete so schnell, als wolle er für uns beide atmen. Sanft packte er meinen Kiefer und öffnete mir den Mund. Etwas Hartes berührte meine Lippen.
»Du musst das trinken. Es tut mir so leid, so schrecklich leid«, flüsterte er. »Bitte trink!«
Obwohl ich hustete und würgte, lief die warme Flüssigkeit meine Kehle hinunter. Widerlich. Es schmeckte nach Tod und Schmutz.
Die ganze Zeit über hielt North mich fest und zwang mich, die Schüssel bis auf den letzten Tropfen leer zu trinken. Bis auf den letzten brennenden, widerwärtigen Tropfen.
Ich fühlte …
Ich fühlte überhaupt nichts. Und dann alles.
Dieses Mal wusste ich, dass ich es war, die da schrie. Unter meiner Haut erwachte alles wieder zum Leben, wie ein aufloderndes Feuer, das mich verzehrte
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