Aus Nebel geboren
können ihr Schicksal leichter annehmen, weil sie glauben? Wer sind wir, ihnen das zu nehmen?“
Gabriel nickte langsam und rieb sich die Schläfen.
„Wir würden die Menschen entwurzeln und Kriege auslösen, noch größer als dieser Kreuzzug. Ich bin im Glauben an Gott aufgewachsen, Freunde, und was ich heute sah, erschüttert mich zwar und stellt meine Weltanschauung infrage, zeigt mir aber eines ganz deutlich: Es gibt einen Gott! Denn – wenn nicht er, wer dann hat dieses Elixier geschaffen?“
„Also müssen wir es schützen. Aber wie? Sollten wir es nicht verstecken?“
Said nickte.
„Hier in Jerusalem ist es nicht länger sicher. Seit vielen Jahren versuchte ich, die Männer, die wie ich Hüter des Rubins waren, davon zu überzeugen, dass wir ihn fortbringen müssen. Aber sie bestanden darauf, dass dies der Ort sei, an dem das Elixier verbleiben müsse.“
Gabriel runzelte die Stirn und stand nun ebenfalls auf. Seine Gedanken trieben ihn.
„Ich frage mich, warum Josef von Arimathäa dieses wertvolle Elixier in der Grabkammer zurückgelassen haben soll? Er muss doch gewusst haben, welche Kraft es hat.“
„Vielleicht hat er es nicht freiwillig zurückgelassen. Josef wurde verhaftet und wegen Leichenraubes zu vierzig Jahren Haft verurteilt, als bekannt wurde, dass der Leichnam Jesu nicht mehr im Felsengrab lag. Dort erschien ihm angeblich Jesus, der ihm einen Kelch gereicht haben soll, dessen Inhalt er es zu verdanken hatte, das Gefängnis überlebt zu haben.“
Said blickte die Männer an.
„Wir sind sicher, dass es sich dabei ebenfalls um das Elixier gehandelt haben muss, denn die Haftbedingungen waren damals noch weit schlechter als heute, und Josef war schon zu Zeiten von Jesu Kreuzigung kein junger Mann mehr.“
„Was willst du uns damit sagen?“, fragte Julien.
„Der Rubin, den du in Händen hältst, muss in der Grabkammer zurückgelassen worden sein, als der Tumult um Jesu Auferstehung losbrach. Ein weiteres Gefäß mit Elixier, so glauben wir, hat Josef nach seiner Freilassung bei sich gehabt. Und wir vermuten, dass auch Jesus noch eines bei sich trug, als er Jerusalem den Rücken kehrte.“
„Jesus kehrte Jerusalem den Rücken?“, fragte Cruz und schien verwirrt.
„Ja, er wäre hier nicht länger sicher gewesen. Hätte er es riskieren sollen, dass sein Geheimnis aufgedeckt würde?“
„Natürlich!“, stimmte Gabriel zu. „Sein Wirken endete mit seiner Auferstehung, für die es immerhin glaubwürdige Zeugen gab. Nur, wohin ist er gegangen, nachdem er wie Claudio aus Nebel wiedergeboren worden war?“
„Nach Rom. Unseren Quellen zufolge ging er nach Rom.“
„Glaubt ihr, er lebt noch immer unter uns?“, fragte Arjen ehrfürchtig, und Said zuckte die Schultern.
„Das kann ich nicht beantworten. Die wenigen Spuren, die wir aufgetan haben, verlieren sich etwa dreißig Jahre nach seinem vermeintlichen Tod am Kreuz beim großen Brand von Rom.“
Julien hob die Hände und sorgte für Ruhe in der aufkommenden Diskussion.
„Männer, uns läuft die Zeit davon. Ihr wisst, Raimund von Toulouse ist nicht gerade gut auf mich zu sprechen. Uns bleibt nicht mehr lange, um zu entscheiden, was nun geschehen soll, ehe ich mich für mein Verhalten von gestern verantworten muss.“
Julien trat an die Zeltöffnung und spähte durch die Plane nach draußen. Gabriel griff nach dem Rubin, den alle wie ein Götzenbild anstarrten, und staunte über den kunstvollen Schliff, durch dessen Lichtbrechung die Flüssigkeit im Inneren vollständig verborgen wurde.
„Said hat recht!“, verkündete Gabriel entschieden. „Einer allein vermag es nicht, diesen Stein zu bewahren und zugleich nach dem restlichen Elixier zu suchen. Das müssen wir aber, um zu verhindern, dass sich das Antlitz der Welt durch diese Flüssigkeit verändert. Vielleicht hat Gott uns genau aus diesem Grund an diesen Ort geführt. Um uns zu seinem Werkzeug zu machen.“
„Was meinst du damit, Gabriel?“, fragte Arnulf, aber Cecil hatte ihn verstanden.
„Richtig, richtig! Wir alle werden Hüter! Unsterbliche Hüter wie Claudio, oder nicht? Oder nicht? Juls? Kann ich der Nächste sein? Vielleicht wächst mir mein Arm nach! Mein Arm, Juls!“
Cecils Gezappel riss alle aus ihren unterschiedlichen Gedanken, und die Frage, die sich in ihren Köpfen zu formulieren begann, sprach Lamar laut aus.
„Schlägst du vor, wir alle benutzen diesen Trank?“
Gabriel hielt den Rubin in die Höhe.
„Ja. Überlegt doch! Saids Männer
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