Aus Nebel geboren
dass ihr dieser Julien den Stein abgenommen hatte?
Chloé pumpte sich einen Stoß Asthmaspray in den Rachen und schlug die Zeitung zu. Es war fast zehn, und es würde noch Stunden dauern, bis sie Fay mit ihren Fragen löchern konnte. Wenn diese in der Bar arbeitete, kam sie meistens erst in den Morgenstunden zurück.
Fröstelnd wickelte sie sich fester in die Decke und warf einen wütenden Blick auf das undichte Fenster. Himmel, es war Sommer, aber hier war es eisig! Dabei hatten sie das auch schon ganz anders erlebt. Im letzten August waren sie hier unter dem kaum isolierten Dach beinahe bei lebendigem Leib gekocht worden. Es war zum Verrücktwerden! Dieser Rubin hätte alles geändert, und nun sollte ihr trostloses Leben einfach so weitergehen? Chloé steckte sich eine Strähne zwischen die Lippen und knabberte an den Spitzen.
Es musste doch einen Weg geben, an Geld zu kommen, ohne seinen Körper zu verkaufen. Wenn Fay nur nicht so eine verbissen ehrliche Haut wäre. Chloé hatte keine Skrupel, wohlhabenden Touristen, die ihre dicken Brieftaschen nur allzu offensichtlich mit sich herumtrugen, in der Metro um diese zu erleichtern. Oder sich so wie heute in einem Straßencafé etwas zu bestellen und dann, ohne zu bezahlen, zu verschwinden.
Fay würde ausflippen, wenn sie das mitbekäme. Sie sagte immer, am Rande der Gesellschaft zu leben, hieße nicht, am Rande des Gesetzes zu leben. Chloés Magen knurrte bei dieser schwachsinnigen Denkweise wie zum Protest, und sie nickte.
„Richtig, Magen, du hast es erkannt! Wir hätten heute nur ein mageres Schinkenbrot gehabt, wenn ich nicht selbst ein wenig für uns sorgen würde.“
Sie schob die Zeitschrift zur Seite und überlegte, ob sie sich würde überwinden können, zum Zähneputzen noch einmal die behagliche Wärme unter ihrer Decke zu verlassen. Sie wälzte sich herum, streckte einen Fuß aus dem Bett und zog ihn schnell zurück.
„Uhhh, das reicht auch morgen“, versicherte sie sich und knipste die Nachttischlampe aus.
Sie hatte kaum ihre Augen geschlossen, als sie das Knarren der Treppe aufhorchen ließ. War das Fay? Es war eigentlich zu früh, außer Gino hatte schon genug Mädchen für heute und sie wieder fortgeschickt.
Da nun aber nichts mehr zu hören war, schloss Chloé ihre Augen wieder und versuchte, ihre sich verkrampfenden Bronchien durch gleichmäßiges Atmen zu entspannen. Wenn Fay die Stufen hochstieg, klang das anders. Vielleicht hatte sie nur die Katze von Monsieur Duprais gehört, die gelegentlich durch das windige Treppenhaus schlich.
Das nächste Knarren beachtete sie daher nicht weiter, sondern lauschte dem Rasseln ihres Atems, das sie, wie so oft, in den Schlaf begleitete. Sie schwebte schon in seligem Halbschlaf, als sich eine Hand auf ihren Mund drückte und kaltes Metall gegen ihre Halsschlagader gepresst wurde.
Julien kämpfte mit seinen Gefühlen. Seine Finger am Lenkrad waren so blutleer wie seine Lippen, die er fest zusammenpresste, um nicht durch unbedachte Worte alles noch schlimmer zu machen.
Er verfluchte Gabriel im Stillen dafür, ihn ausgerechnet zu dieser Frau geführt zu haben. Schließlich waren ihm in seinen neunhundertachtundvierzig Lebensjahren schon Tausende von Frauen begegnet, die ihn niemals besonders berührt hatten. Natürlich hatte er schöne Frauen, verführerische Frauen kennengelernt und sie auch in sein Bett genommen. Aber dass er eine Frau zugleich begehrte und den Drang verspürte, sie mit allen Mitteln zu schützen, war ihm neu. Neu und beileibe nicht willkommen. Nicht umsonst ging er dem weiblichen Geschlecht regelrecht aus dem Weg, seit er an seinem besten Freund gesehen hatte, wie es endete, wenn …
Nein, sich auf jemanden einzulassen, war ein Fehler. Ein Fehler, den er nicht zu begehen gedachte!
Froh, den Reizen dieser rothaarigen Schönheit schon bald nicht länger ausgesetzt zu sein, fuhr er in eine Parklücke direkt vor der Reinigung. Der Verkehr war ruhig, wie zu dieser späten Stunde nicht anders zu erwarten. Die Geschäfte hatten inzwischen geschlossen, und so waren kaum Passanten unterwegs.
Juliens Blick suchte die finsteren Schatten und dunkelsten Ecken ab, aber weder fiel ihm etwas Ungewöhnliches auf, noch konnte er seine Männer irgendwo ausmachen, die er zur Überwachung eingeteilt hatte.
„Hier ist es?“, fragte er, ohne den Motor abzustellen, und runzelte die Stirn.
„Richtig!“
Fay funkelte ihn noch immer unversöhnlich an. „Hattest du etwas Besseres erwartet? Einen
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