Aus reiner Mordlust: Der Serienmordexperte über Thrill-Killer (German Edition)
demnach kein sich peu à peu intensivierendes Dauerthema einer sich über Jahre hinweg allmählich zuspitzenden Fehlentwicklung gewesen, sondern ein sich eher spontan akzentuierendes Bedürfnis und letztlich singuläres Fehlverhalten. Geboren aus der Situation heraus, einer sich bietenden Gelegenheit.
Diese Form der unnatürlichen Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens wird geprägt von pathologischer Neugier: Wie ist das, einen Menschen zu töten? Wie fühlt sich das an? Halte ich das aus? Schaffe ich das? Das muss schön sein. Ich schaffe das. Ich mache das! In solchen Fällen kommt es wegen dieser Motiveinfärbung regelmäßig deshalb nicht zu Tatwiederholungen, weil der Tötungsakt – entgegen der eigenen Erwartungshaltung – eben nicht als stimulierend oder erotisierend erlebt wird und eine tiefere, an rege Phantasietätigkeit geknüpfte Einbindung in das kriminelle Gesamtkonzept fehlt.
Ein weiterer Aspekt erscheint – nicht nur in diesem Fall – beachtenswert. Johanna Brauer hat nicht geschrien, als sie überfallen wurde. Sie hat sich angesichts der bevorstehenden Vergewaltigung auch nicht gewehrt. Und sie hat trotz sich mehrfach bietender Gelegenheit keinen Fluchtversuch unternommen. Bei Jutta Klöppel verhielt es sich sehr ähnlich. Waren die Frauen gelähmt vor Angst? Sind sie vor Schreck innerlich erstarrt? Unfähig, eine Gegenstrategie zu entwickeln? Warum wehren sich Opfer wie Johanna Brauer und Jutta Klöppel in derart lebensbedrohlichen Situationen denn nicht?
Ein Erklärungsversuch: Der von Mordlust dominierte Tötungsakt ist aus der Sicht des Täters ausschließlich auf den Tod des Opfers gerichtet. Es geht dem aus der Opferperspektive übermächtig erscheinenden Peiniger um Entrechtung, Entmenschlichung und anschließende Eliminierung. Aufgeführt wird immer dasselbe Stück: eine Lotterie des Todes, die Tötung als Vabanquespiel. Der Täter setzt das fremde Leben wie einen Jeton am Spieltisch im Kasino der Emotionen. Kommt der Kick?
Diese perverse Zielrichtung bleibt dem Opfer naturgemäß nicht verborgen, Erbarmungslosigkeit und Vernichtungswille sind in jeder Phase des Verbrechens spürbar, erlebbar und in der hässlichen Fratze des Mordlüsternen auch ablesbar. Der Täter nimmt das Opfer gefangen, beraubt es seiner Subjektqualität, das Gefühl der eigenen Sicherheit wird unwiderruflich atomisiert. Die Welt, eben noch so selbstverständlich, hört auf zu existieren. In diesem zunächst inneren, später auch äußeren Auflösungsprozess wirken überwältigende Kräfte, das Opfer, reduziert auf die eigenen biologische Körperfunktionen, wird zum bloßen Spielball der Bösartigkeit. Gerade der höchst intime Vorgang des Sterbens wird instrumentalisiert und zweckentfremdet, wenn der unheimliche Fremde das Leben einfordert und seinen Spaß daran haben will.
Es erscheint schwer vorstellbar, was Menschen in solch entwürdigenden und unheilvollen Situationen empfinden. Doch die Vorstellung, das unmittelbare Erleben, einem Fremden bedingungslos und unabwendbar ausgeliefert zu sein, bis nach wahren Höllenqualen der Tod eintritt, kann dazu führen, dass das Opfer eine entwaffnende Wehrlosigkeit empfindet und sich wie paralysiert in sein Schicksal fügt. Und genau aus diesen Gründen dürften Johanna Brauer und Jutta Klöppel geschwiegen und auf jede Form der Gegenwehr verzichtet haben, als sie überfallen und ermordet wurden.
Halloween unchained
Es ist Frühling, die Sonne scheint.
Ein Junge mit gelockten, dunklen Haaren kommt von der Schule und ist auf dem Weg nach Hause. Er nimmt die Abkürzung durch den Wald. Die Bäume tragen schon grüne Blätter. Vogelgezwitscher. Eine Krähe keift. Der Junge hüpft über mehrere kleine Felsbrocken, die vor ihm auf dem Waldboden liegen. Er läuft weiter. Zweige knacken unter seinen Schuhen, das Laub raschelt.
Als der Junge an einer mächtigen Eiche vorbeikommt, springt urplötzlich jemand auf ihn zu, der sich hinter dem Baum versteckt hat. Nach Kleidung und Statur zu urteilen, handelt es sich um einen etwa gleichaltrigen Jungen, der eine Clownsmaske trägt. Er kreischt und schwingt einen dicken Ast. Der erste Schlag trifft den Jungen im Bereich der Oberschenkel. Er fällt hin, bleibt bäuchlings liegen, schreit vor Schmerzen. Der zweite Schlag wird auf den Rücken gesetzt. Das Opfer dreht sich um und flucht: »Scheiße, du Wichser, ich mach dich fertig!«
Der Junge mit der Maske steht neben ihm. Und schlägt abermals zu. Das Opfer dreht sich auf
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