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Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten

Titel: Ausdruckstanz ist keine Lösung: Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Scheffler
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und zweitens stünde ich sonst womöglich heute als Hippieeltern-Kabarettist vor den Menschen. Ich müsste mich lustig beklagen über meinen Namen, der irgendwas mit Frieden zu tun hätte, müsste jammern über meine Ernährung, meine langen Haare und meine Kleidung damals – Latzhosen, dass ich die anderen Kinder beneidet hätte und furchtbar leiden musste, weil mich alle ständig veräppelt hätten und ich nicht mal zuschlagen gedurft hätte, denn ich wäre ja ein Kind des Friedens und Diskutierens gewesen. Ich bin wirklich froh, dass meine Eltern keine Hippies waren.
    Autoritär ging es zu bei Schefflers. Ich kenne niemanden, bei dem es autoritärer zuging. Ich nehme an, deshalb habe ich mich als kleiner Junge in der Schule ständig geprügelt. Fast nur mit Älteren. Ich habe immer verloren. Vielleicht wollte ich gedemütigt werden. Ich kannte ja von zu Hause nichts anderes. Zudem mit zwei erheblich älteren Brüdern …
    Umso wichtiger wurden später die Perioden, da die Eltern ohne mich in den Urlaub fuhren. Als ich achtzehn war, hatte ich schon einige sehr laute Auseinandersetzungen hinter mir über nächtliches Fortbleiben, Alkoholfahnen und Haarlängen. Als ich achtzehn war, wünschte ich mir, meine Eltern wären Hippies. Aber sie hielten das Wort »bürgerlich« für ein gutes, und ich wurde Juso. Ich kämpfte gegen die Rechten und war verbündet mit den Gütersloher Punks, obwohl ich selber eher ordentlich angezogen war.
    Dann kam mein 19. Geburtstag. Bei uns zu Hause wurden sonst keine Partys veranstaltet. Feiern schon, aber keine Partys. Zu meinem 19. Geburtstag aber waren meine Eltern verreist und die Geschwister in Münster am Studieren. Ich kaufte ein paar Kästen Bier, einige Flaschen Wodka und Chips und lud zur Party ein. Ein übersichtlicher Kreis von etwa zwanzig Leuten. Es war ein Reinfeier-Geburtstag, und so erschienen fast alle erst so gegen zehn Uhr. Laute Musik, es wurde sogar getanzt, hauptsächlich aber hing man auf alten Matratzen rum, trank Wodka und Bier und rauchte, dass es nur so qualmte. Einige knutschten. Das war schön. Und um zwölf Uhr sang Stevie Wonder »Happy Birthday« aus den Boxen heraus. Ich war gerührt. Ich wollte den Abend mit den Freundinnen und Freunden genießen, mich langsam betrinken, aber immer noch genug Übersicht behalten, dass ich gegen Morgen die letzten Gäste verabschieden konnte. Mit einem Mal aber standen dreißig Punks im Partykeller. So viele gab es in Gütersloh überhaupt nicht! Sei’s drum. Ich schickte einen Genossen, der noch fahren konnte, mit meinem letzten Geld los, noch Bier zu besorgen. Es gab eine Getränkehändlerin, Deckname »Omma«, die auch nachts noch verfügbar war. Die Punkszene verteilte sich unterdessen im Haus. Ich schloss vorsichtshalber das elterliche Schlafzimmer ab sowie den Weinkeller. Nun hieß es für mich, nicht in den Ruf eines Spießers zu kommen. Eigentlich wollte ich die Party auf den Keller beschränken, jetzt aber waren auch Wohnzimmer, Terrasse und Küche belegt. Zwei junge Frauen, die ich vorher noch nie gesehen hatte, fingen an zu kochen. Drei andere saßen im Garten und kifften. Im Badezimmer duschte jemand.
    »Wer ist das? Wer hat die eingeladen?«, fragte ich einen Freund. »Die sind aus Bielefeld, haben wohl gehört, dass hier heute Party ist. Mach dir nichts draus und trink einen.« – Die Flucht in den Alkohol? Warum eigentlich nicht. Wäre ich von Hippies erzogen worden, hätte ich die Sache sicher besser durchgestanden. So aber patrouillierte ich mit einem Glas Wodka in der Hand durch das Haus und bat darum, nichts kaputt oder dreckig zu machen. »Bitte nicht mit den Springerstiefeln auch die Couch.« – »Ich möchte nicht, dass jemand in meinem Bett vögelt.« – »Nein, nicht die Kippe auf dem Wachstuch ausdrücken.« – »Und das Geschirr kommt dann in die Spülmaschine.«
    Gegen vier saß ich im Keller und murmelte vor mich hin: »Alles ausgesoffen, alles aufgefressen. Ich möchte, dass jetzt alle gehen.« Die, die mich hörten, lachten.
    Am nächsten Mittag wachte ich auf mit Rückenschmerzen. Ich weckte drei Menschen und setzte sie vor die Tür. Dann ging ich durchs Haus. Jemand hatte es geschafft, in der Diele an die Wand zu kotzen. Im Bad war eine ganze Flasche Körperlotion auf dem Boden ausgeschüttet. Überall lagen Essensreste, im Garten zwei Dutzend heruntergerauchte Joints. Am Sofa war ein Fuß abgebrochen. Der Kühlschrank war leer.
    Das Aufräumen hat zwei Tage gebraucht und einen

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