Ausersehen
Nymphen.
„Ihr könnt jetzt gehen.“ (Junge, klang sie streng – das betonte den seltsamen, beinahe musischen Tonfall ihrer Stimme noch.) „Ich werde mich um unsere Herrin kümmern.“
Sie huschten davon, einen erleichterten Ausdruck auf den Gesichtern. Krankenschwestern sind wohl auch nicht mehr das, was sie mal waren.
„Hier, Mylady, stützen Sie sich auf meinen Arm, und ich werde Sie ins Bad bringen.“
Man sollte meinen, aufzustehen und sich zu einem (dringend notwendigen) Bad zu begeben, sei keine große Sache, und vielleicht wäre es das auch nicht gewesen, wenn der Raum endlich aufgehört hätte, sich zu drehen.
„Uuuuuhhhh …“ Es kam mir vor, als würde ich humpeln, wie eine der alten Tanten aus dem ersten Akt von Macbeth – Gott weiß, mein Haar fühlte sich zerzaust genug an, dass ich für diese Rolle vorsprechen könnte.
„Sie machen das sehr gut, Mylady. Kommen Sie, es sind nur noch ein paar Schritte.“
Wir gingen durch einen schwach erleuchteten Flur. Als ich aufschaute, sah ich, dass er so schwach erleuchtet war, weil (und hier musste ich einen Augenblick stehen bleiben) an den Wänden echte Fackeln in schmiedeeisernen Haltern steckten. Ich habe einen Collegeabschluss, man kann mir nichts vormachen. Fackeln sind in Krankenhäusern nicht Usus. Und verdammt! Ich bin ganz sicher nicht verlobt!
„Brauchen Sie eine Pause, Mylady?“
Was war mit Suzanna passiert? War während meiner Bewusstlosigkeit die Produktion von Prozac eingestellt worden, und hat sie das in eine Art tragische mittelalterliche Hysterie getrieben? Einer meiner Arme war bereits mit ihrem verschlungen, also war es einfach, ihre andere Hand zu ergreifen. Ich zwang sie, sich zu mir umzudrehen und mich direkt anzuschauen. Ich ließ mir Zeit, schluckte ein paarmal in dem Versuch, das Opossum aus meiner Kehle zu vertreiben, hielt ihren Blick mit meinem fest und sagte langsam und deutlich: „Was ist passiert?“
Sie versuchte immer noch, mir nicht in die Augen zu sehen, aber ich schüttelte ihre Hände kurz, und schon trafen unsere Blicke sich wieder.
„Mylady …“ Sie hielt inne und schaute sich um, als hätte sie Angst, uns könnte jemand belauschen. Dann flüsterte sie in einem unglaublich ernsten Ton: „Wie heißen Sie?“
Okay, ich würde mitspielen, aber sollte gleich Sean Connery um die Ecke biegen, wüsste ich mit Sicherheit, dass ich die Mutter aller bizarren Träume hatte.
„Shannon“, krächzte ich so deutlich wie möglich. Sie blinzelte nicht mal.
„Und wie heiße ich?“
Meine Güte, vielleicht war sie betrunken – sie hat noch nie viel vertragen. Ein kleiner Schluck Tequila, und sie war im Lala-Land. Ein tiefer Atemzug – nein, ich roch keinen Alkohol.
„Dein Name ist Suzanna.“
Sie beugte sich etwas näher zu mir und schüttelte langsam den Kopf. Dieses Mal schien sie meinem Blick besser standhalten zu können. Ich konnte nicht anders, als zu bemerken, dass die Furcht, die vorher in ihren Augen aufgeblitzt war, nun von Mitleid überschattet wurde.
„Nein, Mylady.“ Ihre sanft klingende, seltsam akzentuierte Stimme erschütterte mich. „Ich heiße nicht Suzanna, sondern Alanna. Und Sie sind nicht Shannon, sondern meine Gebieterin Rhiannon, Hohepriesterin der Göttin Epona, Tochter von MacCallan, verlobt und bald versprochen dem Hohen Schamanen ClanFintan.“
„Quatsch.“
„Ich weiß, dass das für Sie schwierig sein muss, Mylady, aber kommen Sie mit mir. Ich werde Ihnen helfen, sich zurechtzumachen, und versuchen zu erklären, wie es zu all dem kommen konnte.“
Sie klang besorgt, während sie mir half, meinen tauben Körper vorwärtszubewegen. Nach ein paar Schritten den Flur hinunter traten wir durch eine offene Tür zu unserer Rechten.
Der Raum, in den wir kamen, weckte Bilder in meinem Kopf, wie man sie aus diesen Wissenschaftssendungen im Fernsehen kennt, in denen sie erst Ruinen zeigen, die nicht mehr sind als eine Ansammlung alter Steine und verfallener Säulen, und dann das Bild per Computer so bearbeiten, dass die Zuschauer sehen können, wie das Gebäude früher zu seinen Glanzzeiten wirklich ausgesehen hatte. Dieser Raum sah definitiv aus wie eines der Computerbilder. Der Boden und die Decke bestanden aus poliertem Marmor. Es war schwer zu sagen, ob der goldene Schein vom Stein herrührte oder von den vielen Wandfackeln kam. Die Symmetrie der Wände wurde an vielen Stellen von kleinen Nischen unterbrochen, die in verschiedenen Höhen in den Stein gehauen worden waren.
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