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Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. C. Cast
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Vorsichtig führte ich Epi ans Wasser.
    Am Flussufer angekommen, stützte ich mich mit einer Hand an Epis Flanke ab, während ich mit der anderen meine Stiefel auszog und die Hosenbeine hochkrempelte. Epi hatte genug getrunken und liebkoste mich mit ihrer nassen Schnauze.
    „Was wir wirklich brauchen, altes Mädchen, ist eine gute Pediküre. Aber wo sind die Kosmetikerinnen, wenn man sie braucht?“ Ich gab ihr einen kleinen Klaps und führte sie ins kalte Wasser. „Also tun wir das Zweitbeste und kühlen unsere schmerzenden Füße.“ Epi schien gewillt mitzumachen und folgte mir vorsichtig, während ich einen Weg zwischen den größeren Steinen suchte.
    Meine Güte, war das kalt.
    „Hey, Epi, hast du jemals das sehr traurige schottische Liebeslied ‚Loch Lomond‘ gehört?“ Etwas verärgert hob sie ihren rechten Huf. Ich lehnte mich gegen ihre linke Seite, damit sie gezwungen war, ihn wieder abzusetzen. Sie schaute mich zweifelnd an, behielt den Huf aber im Wasser. „Das ist die Geschichte von Bonnie Prince Charlies Männern, die während eines Aufstandes gefangen genommen wurden. Einer von ihnen wurde hingerichtet und der andere freigelassen. Gerüchte besagen, das Lied ist von dem verurteilten Soldaten als letzter Gruß an seine Liebste geschrieben worden.“
    Epi schien mir nicht folgen zu können.
    „Kennst du nicht, was?“ Kalt, kalt, kalt. „Aber du hast Glück – nicht, weil ich singen kann, denn wir beide wissen, dass das nicht zu meinen Gaben gehört, aber ich kenne alle Strophen auswendig. Und ja, ich bin bereit, sie dir beizubringen.“ Sie seufzte. Ich hatte das Gefühl, dass sie auch die Augen verdrehte, war mir aber nicht ganz sicher. Als ich engagiert mit der ersten Strophe begann, bemerkte ich, dass meine schmerzenden Füße taub waren. Irgendwie angenehm. Ich räusperte mich und legte meinen besten schottischen Akzent an:
    „Dort an dem Ufer, am fröhlichen Hang,
    Wo die Sonne scheint hell auf Loch Lomond,
    Wo ich, mit der Liebsten, macht’ manch frohen Gang,
    An dem schönen, schönen Ufer des Loch Lomond.“
    Während ich mich durch eine klägliche Interpretation einer meiner Lieblingsballaden arbeitete, fiel mir auf, dass Epis Aufmerksamkeit nachließ.
    „Okay, lass uns den Refrain gemeinsam singen!“
    „Oh, nimm du den Hochweg, und ich geh hernieder,
    Und ich werde vor dir in Schottland sein,
    Doch ich und mein Schatz sehen uns nie wieder
    An dem schönen, schönen Ufer des Loch Lomond.“
    Mit einem melodramatischen Seufzer und einer theatralischen Geste tat ich so, als würde ich mir die Tränen aus den benetzten Augen wischen.
    „Ist es nicht wunderschön?“ Sie schnaubte mich an und senkte den Kopf, um zu trinken, wobei sie gereizt ihr Gewicht verlagerte. „Ich sehe schon, du bist nicht sonderlich beeindruckt, wenn ein tragisches und deprimierendes Liebeslied mit einem ebenso tragischen und deprimierenden Mangel an musikalischem Grundverständnis vorgetragen wird. Okay, okay – wie wäre es, wenn ich dir eine Kostprobe von etwas gebe, worin ich wirklich gut bin.“ Sie warf mir einen Blick zu, schien aber noch etwas zurückhaltend ob der Demonstration meiner Sangeskünste – beziehungsweise deren Nichtvorhandensein.
    „Hey, Cleverle, ich erinnere mich noch an die Beschreibung eines Pferdes aus einem Essay, den ich in der Mittelstufe durchnehme.“ Ihre Ohren richteten sich auf. „Der Autor schrieb: Eine Ente ist ein langes, niedriges, mit Federn bedecktes Tier. Analog dazu ist ein Pferd ein langes, hohes, mit Verwirrung bedecktes Tier.“ Sie blinzelte und schaute ein wenig eingeschnappt drein. „Na ja, damals fand ich es recht lustig. Ich nehme an, man muss dabei gewesen sein.“ Sie zappelte wieder herum, und ich schätzte, dass ich sie nur noch wenige Minuten dazu bewegen konnte, im Wasser zu bleiben. Während ich in meinem Gehirn herumwühlte und gleichzeitig versuchte, meine tauben Füße zu ignorieren, ging plötzlich die Leuchte der Weisheit in meinem Kopf an.
    „Hey! Ich weiß, was du mögen wirst.“ Sie schenkte mir keine große Aufmerksamkeit mehr, und ich musste mich wieder an ihre linke Seite lehnen, damit sie den verletzten Fuß im Wasser behielt. Sie begann, unruhig hin und her zu trippeln.
    „Ja, ich weiß, dass das hier keinen Spaß bringt. Hör mir nur noch einmal zu, und dann verlassen wir diese Kältehölle.“
    Ich verdrängte alle Bedenken und Sorgen und tauchte tief in meine Erinnerungen hinab. Meine Professorin im Fach „Die Bibel als

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