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Ausersehen

Ausersehen

Titel: Ausersehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. C. Cast
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starrte auf die Burg und versuchte, mein wild klopfendes Herz zu beruhigen.
    „Nein, ich spüre nichts von dem, was ich in der Nacht gefühlt habe.“
    „Sind Sie sicher, Mylady?“
    Ich schloss die Augen und konzentrierte mich, zwang mich, die Erinnerung an die Nacht zuzulassen, an das spürbar Böse, das aus dem Wald gesickert und wie giftiger Nebel in die Burganlage geglitten war.
    „Ich bin mir sicher. Das Gefühl ist unmissverständlich, und im Moment ist definitiv nichts Schreckliches spürbar.“ Meine Hände ruhten immer noch auf seinen Schultern, und er fasste hinauf und drückte sie kurz.
    „Gut.“ Dann wandte er sich zu Dougal und Connor um, die in dem Moment zu uns zurückkehrten. „Berichtet.“
    „Außer den Aasfressern bewegt sich nichts. Wir haben auch keine Hinweise auf Feuer gesehen oder gerochen.“ Dougal klang sachlich und ruhig.
    „Lady Rhiannon spürt nichts, was auf die Anwesenheit der Kreaturen hindeuten würde. Ich denke, es ist sicher, die Burg zu betreten.“ Dann wandte er sich wieder an mich. „Mylady, Sie müssen nicht mit hinaufkommen. Wenn Sie hier warten wollen, bringe ich Ihnen Nachricht von Ihrem Vater. Sie können mir vertrauen, dass ich mich mit dem Respekt um seine Überreste kümmere, den er verdient.“
    „Ich vertraue Ihnen, aber darum geht es nicht. Ich muss … ich muss es einfach selber tun.“ Mein Mund war unglaublich trocken. „Es wird für mich nicht real sein, bis ich ihn mit eigenen Augen gesehen habe.“
    Er nickte langsam, und ich spürte, dass er seufzte.
    „Nun gut. Dann gehen wir. Alle. Zentauren, bleibt in der Nähe und seid wachsam.“
    ClanFintan trabte auf die Burg zu, je vier Zentauren auf beiden Seiten. Ich hielt mich an seinen Schultern fest und sagte mir immer wieder: Du kannst das, du kannst das, du kannst das.
    Als wir uns der Burg näherten, trug der Wind uns den klebrigen Geruch zu. Anfangs war er leicht säuerlich, als würde man die Kühlschranktür öffnen und feststellen, dass irgendetwas darin nicht mehr ganz frisch ist. Dann wurde er immer intensiver und schien wie Nebelschwaden über dem Boden zu wabern, sodass ich würgen musste. Mein eben noch trockener Mund füllte sich mit Galle.
    „Versuchen Sie, durch den Mund zu atmen. Das hilft.“
    In ClanFintans Stimme lag Mitgefühl. Ich fragte mich, woher er so viel über den Geruch des Todes wusste.
    „Wo haben Sie Ihren Vater während Ihrer Vision das letzte Mal gesehen?“
    „Am Fuße der Treppe, die zu den Schlafräumen der Soldaten führt.“
    Er hielt an, und seine Wachen taten es ihm gleich. „Rhiannon, lassen Sie mich zuerst einen Blick auf die Toten werfen. Ich werde Ihren Vater wiedererkennen und Ihnen sagen, wenn ich ihn gefunden habe. Sie halten sich einfach fest und schließen die Augen.“
    „Es geht schon. Lassen Sie uns das hier hinter uns bringen.“ Ich versuchte, mutig zu klingen, aber meine Stimme war schwach und zittrig.
    Er ging weiter, und bald erreichten wir die ersten Leichen. Als wir näher kamen, stoben dunkle Vögel auf, ein Gewirr aus Flügeln. Ich schaute nicht hin, denn ich wollte gar nicht sehen, was sie in ihren spitzen Schnäbeln trugen. Leichen lagen übereinandergeschichtet, hier ein Haufen, dann ein Stück weiter wieder einer. Inmitten dieses Grauens kam es mir irrwitzig tröstlich vor, dass sie nicht allein waren. Ich versuchte wegzuschauen, aber meine Augen wollten meinem Gehirn nicht gehorchen – vielleicht gehorchten sie stattdessen meinem Herzen. Ich trauerte um diese mutigen Männer und spürte, dass ihre verweilenden Seelen meinen Respekt und meine Bewunderung für ihren Heldenmut spüren konnten und sich getröstet fühlten, wenn ich den Blick nicht abwandte, sondern ihr Opfer anerkannte.
    Ich warf den neben uns gehenden Zentauren einen Blick zu. Ihre Gesichter waren ausdruckslose Masken, und ich versuchte, es ihnen gleichzutun. Sie überprüften jeden einzelnen Mann und stellten akribisch sicher, dass sich kein Lebender darunter befand. Wir bewegten uns langsam an der südlichen Mauer in Richtung des Burgeingangs entlang. Das große Eisentor stand offen; leblose Körper und pickende Vögel bedeckten den Weg. Wir passierten das Tor und kamen durch einen schmaleren, überdachten Eingang dahinter auf den Burghof.
    „Zu den Schlafräumen der Soldaten.“ ClanFintans emotionslose Stimme hallte schaurig von den toten Mauern wider.
    Es war wie eine Szene aus einem von Dalí gemalten Albtraum. Männer lagen in dunklen Lachen geronnenen

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