Ausersehen
sich mechanisch und sprachen nicht miteinander, als wären sie Automaten.
„Die Frauen von der MacCallan-Burg.“ Ich hatte die Worte laut ausgesprochen und sah, wie sich ein Kopf in meine Richtung drehte. Sie war jung, vielleicht dreizehn oder vierzehn. Sie hatte hohe Wangenknochen, Vorboten der Schönheit, die sie einmal werden würde. Jetzt war ihr Gesicht noch rund und engelsgleich. Ihre Augen waren groß, mit dichten, langen Wimpern – sie flatterten wie Schmetterlingsflügel, als sie versuchte, die Reste der Taubheit wegzublinzeln, die die anderen Frauen fest im Griff zu haben schien. Sie starrte in meine Richtung und versuchte etwas zu sehen, das keine wirkliche Substanz hatte. Ihre Haare waren ein dicker Lockenwust, der das Licht der Flammen auffing, das darin glitzerte wie geschliffene Edelsteine.
Ich spürte einen Anflug von Traurigkeit, als ich dieses hübsche Kind sah. Irgendetwas Fürchterliches passierte hier. Das wusste ich mit einer Sicherheit, die von nichts anderem gefüttert wurde als dem Horror, der mich noch immer erfasste, wenn ich an das dachte, was ich in meinem letzten magischen Traum erlebt hatte. Ich verstand es noch nicht, aber ich wusste, dass das, was ich hier als spiritueller Lauscher erblickte, etwas war, das weit über Versklavung entführter Menschen oder die Misshandlung von Konkubinen hinausging.
Mit einem Mal zerriss ein gellender Schrei die Nacht, und das Mädchen, das versucht hatte, wieder zu fühlen, kehrte zu den kauernden Frauen zurück. Ihre Augen waren wieder glanzlos und leer. Die Frauen hockten zusammen wie Schafe, deren Schäfer sie den Wölfen überlassen hat. Nervös zupften sie an ihren Kleidern und hielten die Decken eng um ihre zitternden Körper gewickelt. Ihre Aufmerksamkeit war in eine bestimmte Richtung gerichtet. Sie starrten auf eine geschlossene Tür, die, ihrer Größe nach zu urteilen, in einen großen Saal oder ein Zimmer führte.
Der Schrei wiederholte sich. Einige der Frauen fingen an, sich auf die Tür zuzubewegen, aber die anderen riefen sie verärgert zurück.
Wieder ein Schrei – beinahe unmenschlich in seiner Qual. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich musste wissen, was da vor sich ging – und wie man es aufhalten konnte.
Als wäre es die Antwort auf meinen Wunsch, wurde mein Körper nach vorne und durch die unheilvolle Tür gezogen und auf der anderen Seite wieder ausgespuckt. Ich schwebte unter der Decke eines riesigen Raumes. Mein erster Eindruck war, dass er mich – auf eine vage, schattenhafte Art – an den Speisesaal in Eponas Tempel erinnerte. In jeder Ecke brannten Feuer in den Kaminen, die so groß waren, dass mehrere Menschen darin hätten stehen können. Kerzen flackerten an den Wänden, aber nichts davon konnte die Finsternis aus dem Saal vertreiben. Grobe Tische, wie antike Picknickbänke, waren an die Wände gerückt worden. Im flackernden Licht konnte ich sehen, dass auf den dazugehörigen Bänken Menschen saßen. Viele von ihnen hatten ihren Kopf auf die Arme gebettet und schienen zu schlafen. Niemand sprach.
Dann zog ein weiterer Schrei, gefolgt von einem keuchenden Stöhnen, meine Aufmerksamkeit zur Mitte des Raumes. Eine Gruppe Menschen hatte sich um einen einzelnen Tisch versammelt. Mein Körper trieb auf die Gruppe zu, und als ich näher kam, wurde ich von Wellen des Bösen umflutet, gefolgt von etwas, das ich nur als Nebel der Verzweiflung beschreiben kann. Wie in der Nacht des Angriffs auf die MacCallan-Burg war meine Vorahnung beinahe körperlich spürbar. Ich wollte nicht hinsehen – ich wollte nicht sehen, was dort auf dem Tisch passierte, aber meine Augen weigerten sich, sich schließen zu lassen.
Alle in der Gruppe, die den Tisch umringte, hatten neben ihrer Konzentration auf den Tisch noch etwas gemeinsam – Flügel, die raschelten und flatterten, während die Körper relativ ruhig blieben. Ich atmete tief ein und wappnete mich für das, was ich zu sehen bekommen würde. Dann schwebte ich in eine Position direkt über dem Tisch.
Ich hatte die Quelle der Schreie gefunden. Es war eine Frau. Sie war nackt, aber es war unmöglich zu sagen, wie alt sie war. Sie lag auf einem Tisch, der von ihrem Blut rot glitzerte. Ihre Arme waren ihr über dem Kopf festgebunden worden. Ihre Beine waren gespreizt aufgestellt, die Knie gebeugt, ihre Füße wieder an ihren Körper zurückgedrückt und dort ebenfalls festgebunden. Sie sah aus, als wäre sie für irgendeine obskure gynäkologische Untersuchung vorbereitet worden.
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