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Ausflug ins Gruene

Ausflug ins Gruene

Titel: Ausflug ins Gruene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Heinrichs
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im Schwesterntrakt.«
    Das saß. Schwester Dorothea blieb vor Erstaunen der Mund offen stehen, so daß ich an ihr vorbei meinen Weg zum Lehrerzimmer fortsetzen konnte. Ich schob mich rückwärts durch die Holztür und ließ den Karton dann wutschnaubend auf einen Tisch fallen. Ich schaute mich um. Woher sollte ich wissen, wo HeSiedas Platz war? In sein Fach würde ich diese Sendung wohl kaum hineinquetschen können. Nun, irgendwann würde schon jemand auftauchen und mir helfen.
    Indessen machte ich mich auf die Suche nach einer Liste der Geschichtskarten. Schließlich mußte ich den Kids der zehnten Klasse zeigen, welche Gebiete Deutschland durch den Versailler Vertrag verloren hatte. Leo hatte mir beschrieben, daß alles Nötige in der obersten Schublade am Sideboard zu finden sei. Unter einer Kakaobestellung fand ich tatsächlich die Landkartenliste. Daneben lag der Schlüssel des Kartenraums. Raum U 02 stand auf dem Schlüsselanhänger. Ich nahm beides und machte mich auf die Suche nach Raum U 02. Ich fand ihn im Keller des Hauptgebäudes, genau wie Leo es beschrieben hatte. Nachdem ich aufgeschlossen hatte, tastete ich vergeblich nach dem Lichtschalter. Kein Wunder. Er war außen, an der Flurwand, angebracht. Endlich wurde es hell im Inneren. Zumindest warfen zwei Glühbirnen ihr spärliches Licht auf einen großen Kellerraum, der mit einer Vielzahl von Ständern vollgestellt war, die wiederum eine Unmenge von Karten beherbergten. Ich wettete hundert zu eins, daß zumindest in diesem Teil der Schule kein durchschaubares System ausfindig zu machen war. Seufzend ließ ich mich auf einen staubigen Holzstuhl fallen und blätterte die Liste durch. Es muß mindestens eine Stunde gedauert haben, bis ich eine Karte mit dem Titel »Weimarer Zeit« in der hintersten Ecke gefunden hatte. Natürlich war das Objekt meiner Begierde bei weitem nicht so übersichtlich, wie ich es mir erhofft hatte. Ich war gerade dabei, es wieder zu verstauen, als das Licht ausging. Der Raum war stockduster. Mich beschlich auf der Stelle eine leichte Panik. Ob jemand mit mir im Raum war? Ich lauschte. Nichts. Dennoch rechnete ich fest damit, daß mir im nächsten Moment eine Weltkarte auf den Kopf gedonnert würde. Hatte man es auf mich abgesehen? Bruno Langensiep schoß mir durch den Kopf. Vielleicht gab es irgendeine psychopathische Gestalt in dieser Schule, die es speziell auf Lehrer mit meiner Fächerkombination abgesehen hatte. Wahrscheinlich ein Kindheitstrauma. Der Sproß einer übermächtigen Mutter, die Deutsch und Geschichte unterrichtet und in ihrer Freizeit das eigene Kind damit gequält hatte. Kein Wunder, daß man zum Mörder wurde, wenn man eine solche Kindheit hinter sich hatte. Ich nahm mich zusammen. Meine überdrehte Phantasie ging schon wieder mit mir durch. Immer noch umgab mich totale Finsternis. Plötzlich hörte ich, daß sich langsam Schritte entfernten. Dies war der Moment, wo ich hätte um Hilfe schreien müssen. Ich tat nichts dergleichen.
    Lieber drei Wochen allein und ohne Essen in der Finsternis hocken, als dem gepeinigten, inzwischen erwachsenen Deutsch- und Geschichtspsychopathen begegnen. Unter der Tür nahm ich einen kleinen Lichtstreifen wahr. Im Flur war also noch das Licht an. Schließlich hörte ich eine Tür ins Schloß fallen, wahrscheinlich die Tür, die ins Erdgeschoß führte. Der Übeltäter war also fürs erste verschwunden, es sei denn, er hätte mich durch einen hinterlistigen Trick getäuscht. Ich blendete sämtliche schaurigen Szenen aus, die in meinem Kopf herumschwirrten, und versuchte, mich in Richtung Lichtstreifen in Bewegung zu setzen.
    Der Schlag vor den Kopf war heftig. Panisch hielt ich die Arme vors Gesicht, um alles Weitere abzuwehren. War der Peiniger doch noch im Raum? Mir schoß Bruno Langensiep in den Sinn. Hatte es sich herumgesprochen, daß Leo und ich seinen Tod untersuchten? Womöglich hatte Leo schon Staub aufgewirbelt, und ich mußte es jetzt ausbaden. Während ich mir noch die Hand vor das Auge preßte, um den pochenden Schmerz zu überspielen, wurde mir bewußt, daß ich lediglich vor einen dämlichen Kartenständer gelaufen war. Meine Phantasie war mit mir durchgegangen! Man hatte mir bestenfalls einen bösen Streich gespielt! Ich fluchte leise vor mich hin und überlegte mir dann, daß der Weg zur Tür auf allen Vieren sicherer war. Tatsächlich brauchte ich nur eine einzige Bücherkiste zu übersteigen und diverse Staubbüschel wegzuwischen, bevor ich den Lichtstrahl

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