Ausflug ins Gruene
drückte auf den Türdrücker -eine Sprechanlage war leider nicht vorhanden- und überlegte krampfhaft, was ich mir schnell überziehen konnte. Mangels passender Alternativen griff ich nach einer Wolldecke, die ich mir wurstartig umlegte, als auch schon Leo Brussner gut gelaunt, tatendurstig und fröhlich die Treppe heraufeilte. Seine ganze Person stellte das genaue Gegenteil von mir selbst dar.
»Guten Morgen!« rief er mir in einer zu hohen Tonlage entgegen. Er schwenkte eine Papiertüte. »Ich habe Brötchen mitgebracht.«
»Konntest du die nicht vor die Tür legen?«
»Sei nicht so träge. Ich muß dir was erzählen, es geht um unsere Ermittlungen.«
»Oh nein, verschwinde!« Ich versuchte, ihm den Weg in die Wohnung zu versperren. Leo ignorierte mein Bemühen, drängte sich an mir vorbei und beäugte dabei meine gewagte Umhüllung.
»Betätigst du dich hobbymäßig als Exhibitionist oder stehst du auf römische Gelage?« Mir entrann nur noch ein Stöhnen.
»Hier, die Zeitung habe ich dir auch mitgebracht. Soll ich schon mal Kaffee machen?« Ich gab mich geschlagen und machte mich auf den Weg ins Bad. Noch unter der Dusche mußte ich mir durch die offene Badezimmertür Leos hyperaktive Bemerkungen anhören.
»Du solltest dich schon mal an das frühe Aufstehen gewöhnen. In genau sechs Tagen beginnt der graue Schulalltag, und wie Roswitha Breding mir gestern am Telefon erzählte, hat Radebach dir bereits einen Stunden plan gemacht. Er liegt in deinem Fach im Lehrerzimmer.«
»Warum stöbert Roswitha Breding in meinem Fach herum?« Die Frage war mir eine Unterbrechung beim Duschen wert.
»Schwester Wulfhilde ist wieder da, und die packt grundsätzlich die richtigen Unterlagen in die falschen Fächer. Wenn man mal auf was Bestimmtes wartet, lohnt es sich immer, auch die umliegenden Fächer grob in Augenschein zu nehmen. Dein Fach liegt direkt unter Roswithas, sie wird also auch weiterhin einen guten Überblick behalten.«
»Ist ja reizend«, brummte ich, während ich mich abtrocknete. »Liebesbriefe sollte man sich also besser nicht dort hinterlegen lassen?«
»Oh!« Leo wurde neugierig. »Hast du da Ambitionen?«
»Quatsch!« Ich lief durch den Flur an Leo vorbei, um mich anzuziehen.
»Ich dachte schon! Hätte den Alltagstrott endlich mal belebt, wenn du eine aufregende Liaison mit Gisela Erkens eingegangen wärst.«
»Wie kommst du denn auf die?« Ich streckte meinen stirngerunzelten Kopf aus meinem Schlafzimmer heraus, während ich in meine Jeans schlüpfte.
»Eine unserer wenigen unverheirateten Lehrerinnen. Aber ein bißchen zu alt für dich. Wie wär’s statt dessen mit Annette Brinkschulte?«
»Kenne ich nicht!«
»Ist auch besser so! Die labert einem den ganzen Tag die Hucke voll. Bio und Erdkunde.«
»Ehrlich gesagt, habe ich auch keinerlei Interesse an einer Verkupplung.« Ich trottete halbwegs angezogen in die Küche.
»Hast du eine Freundin in Köln?« Leo tat, als blättere er nebenbei in der Zeitung, doch man sah ihm seine Neugier an der Nasenspitze an, die immerhin einige Zentimeter zu weit herausragte.
»Nicht mehr.« Leo schaute kurz hoch und merkte wohl, daß er nicht weiterfragen sollte. Statt dessen packte er die Brötchen aus.
Angie. Warum hatte Leo bloß danach gefragt. Damals, als Angie sich derart über meine Sauerland-Entscheidung aufgeregt hatte, hatte ich zunächst den Abend verstreichen lassen und sie dann am nächsten Tag im Studio abgeholt. Bei dieser Begegnung war sie ganz ruhig, aber sehr distanziert gewesen. Ich wollte mit ihr nach Hause gehen, aber sie zog ein gemeinsames Abendessen vor. Als wir uns endlich bei unserem Lieblingsitaliener niedergelassen hatten, hatte ich das Wort ergriffen.
»Angie, laß uns nochmal in Ruhe über alles reden. Wenn du eine berufliche Chance bei einem anderen Sender in einer anderen Stadt bekämest, wäre das doch auch nicht das Ende.« Ich hatte über den Tisch hinweg Angies Hand gestreichelt.
»Sicher.«
»Laß mich die Sache doch einfach mal austesten. Ich-«
»Vincent. Ich glaube, ich bin nicht ganz fair gewesen.« Der Ton in ihrer Stimme hatte mein Herz in die Magengegend rutschen lassen. Ich kannte diesen Tonfall. Ich kannte ihn von Moni, als sie sich vor etlichen Jahren von mir verabschiedet hatte. Ich kannte ihn von mir selbst bei verschiedenen Gelegenheiten. Alle Trennungsgespräche meines Lebens steckten in diesem Ton, in diesem Satz, den Angie gerade gesagt hatte. Mir war flau gewesen, und ich hatte das Folgende wie
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