Ausflug ins Gruene
unter der Tür erreichte. Die Tür ließ sich zum Glück öffnen. Ich war also bei allem Unglück nicht eingeschlossen worden. Schwitzend und immer noch mit einem pulsierenden Schmerz in der Schläfe stieg ich die Stufen zum Erdgeschoß hinauf. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Ich machte mir nicht die Mühe, den Staub von meinen Kleidern abzuklopfen, sondern stapfte wutentbrannt weiter nach oben und auf das Lehrerzimmer zu. Ich pfefferte die Tür auf und blickte in die zornigen Augen meines alten Bekannten HeSieda.
»Herr Jakobs, wie schön, Sie zu sehen!«, Sondermann kochte fast über vor Wut. »Können Sie mir bitte erklären warum diese Büchersendung, die eigens für mich geliefert wurde, auf diesem Platz steht, so als wäre der Inhalt für jedermann zugänglich?« Ich traute meinen Ohren nicht.
»Wie mir Herr Radebach vor zwei Minuten am Telefon versicherte, hat er die Sendung vertrauensselig in Ihre Hände gegeben, ohne zu ahnen, daß sie in der Mülltonne sicherer aufgehoben wäre.«
»Soll ich Ihnen mal was sagen?« Meine Stimme stand hinter Sondermanns Ausbruch nicht zurück. »Seitdem ich hier bin, habe ich nicht-«
»Herr Jakobs, was ist denn mit Ihnen los?« Eine besorgte Schwester Dorothea steuerte von der Seitentür auf mich zu und verhinderte alle verbalen Tiefschläge.
»Sie haben sich doch nicht etwa verletzt?« Besorgt musterte sie mein Gesicht.
»Verletzt?« Ich nahm mich zusammen. »Keineswegs. Es hat mir nichts ausgemacht, für meinen lieben Kollegen Sondermann ein Bücherpaket heraufzuschleppen. Noch weniger hat es mich gestört, daß mich irgendwer in der Dunkelheit des Kartenraums zurückgelassen hat, was zu einer unliebsamen Begegnung mit einem Kartenständer führte.«
Sondermann starrte mich feindselig an, Schwester Dorothea war das blanke Entsetzen.
»Sie waren im Kartenraum? Aber warum haben Sie denn nichts gesagt?« Ihr war diesmal gar nicht nach Kichern zumute. Statt dessen blickte sie mich halb verständnislos, halb besorgt an.
»Wollen Sie damit etwa sagen, daß Sie das Licht ausgeschaltet haben?« Dorothea ging zur Verteidigung über.
»Ich dachte natürlich, daß wieder jemand das Licht einfach angelassen hat. Das passiert ja schließlich dauernd hier.«
»Aber warum haben Sie sich nicht wenigstens rückversichert?« Ich war der Verzweiflung nahe, während mein Auge pochte.
»Nun, ich nahm an, wenn sich keiner lautstark meldete, würde auch niemand im Raum sein. Das ist doch naheliegend, oder?«
Ich dachte an meine Horrorphantasien. »Ja, vielleicht. Aber was Sie angeht«, ich wandte mich an Sondermann, »ich werde Ihnen die Rechnung über den Zustellservice schriftlich zukommen lassen!« Mit diesen Worten wandte ch mich zum Gehen. Schwester Dorothea kicherte leise und schloß sich mir an.
»Dann ziehen Sie wohl doch nicht bei uns ein, was?«
»Um Gottes willen, meinen Sie, ich möchte in Zukunft noch öfter hier im Dunkeln sitzen?« Schwester Dorothea kam richtig in Fahrt, während sie mit mir die Treppen hinabstieg.
»Eigentlich schade. Sie hätten sicher frischen Wind in unsere Abteilung gebracht.« Dorothea gluckste in der mir schon bekannten Weise, während ich dem Ausgang zusteuerte. »Aber vielleicht überlegen Sie es sich ja noch anders. Bis dahin ein schönes Osterfest!«
18
Die Ostertage verbrachte ich bei meinen Eltern in dem kleinen Dörfchen an der holländischen Grenze, in dem ich aufgewachsen bin. Ich war schon einige Monate nicht zu Hause gewesen und wurde sehnlichst erwartet. Wegen der täglich wechselnden Farbschattierungen an meinem Auge wurde ich ausreichend bemitleidet. Zum Ausgleich mähte ch den elterlichen Rasen.
In Gedanken war ich häufig bei Alexa, die über die Feiertage Bereitschaftsdienst schieben mußte. Ich war vor meiner Abfahrt noch einmal mit ihr spazieren gewesen. Wir waren durch Wiesen und Wälder gewandert, und Alexa war für mich ein Teil dieser Gegend, des Sauerlandes, geworden. Jeder Moment, den ich mit ihr verbracht hatte, jedes Wort, das wir gewechselt hatten, hatte nicht ihr näher gebracht. Es war daher kein Wunder, daß ich während der ganzen Ostertage nur darauf wartete, sie wiederzusehen.
Am Ostermontagabend endlich brach ich auf und kam spätabends im Sauerland an. Ich überlegte, ob ich mich noch bei Alexa melden konnte, entschied mich dann aber dagegen. Unsere Bekanntschaft war noch zu frisch, um allzeit und ohne Grund anrufen zu können.
Am nächsten Morgen wurde um acht bei mir Sturm geschellt. Ich
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