Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
schienen ihn nun endgültig zu verlassen. »Ich wollte es an Ihnen wieder gutmachen, Markus. Darum habe ich ein bisschen auf Sie aufgepasst. Habe nach Ihrem Unfall dafür gesorgt, dass Ihr Bruder Sie außer Landes bekam. Ich dachte, vielleicht wird mir auf diese Weise doch einmal vergeben …« Er schloss die Augen, atmete mit gurgelnden, röchelnden Lauten. »Was denken Sie, Markus?«
Markus schluckte, dachte an die zurückliegenden Wochen, die Abende … Männergespräche, belanglos im Grunde, und andererseits … »Bestimmt«, sagte er. »Bestimmt ist es so.«
Wenn er nur die Worte gefunden hätte, dem sterbenden Mann zu sagen, dass er ihm dankbar war.
Taggard stemmte die Augen wieder auf, hob mühsam die Hand, bedeutete ihm, näher heranzukommen. Er roch nach Tod. Seine Stimme war nur ein Hauch. »Ich muss Ihnen noch etwas sagen, Markus …«
Als Markus das Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloss, stand der Reverend immer noch im Gang, ein düsterer Berg von einem Mann in der einsetzenden Dämmerung.
»Wie geht es ihm?«, wollte er wissen.
»Er hat gesagt, er will jetzt schlafen.«
Der Reverend nickte. »Gut. Sie waren ja ewig da drin. Das hat ihn sicher angestrengt.«
»Er wollte mich nicht eher gehen lassen.«
Einen langen Moment herrschte Stille, die sich wie ein Druck auf den Ohren anfühlte.
»Wahrscheinlich wird er nicht mehr erwachen«, sagte Reverend Small dann. Er schien in sich hineinzuhorchen. »Gott wird sich seiner annehmen.«
Markus schwieg. Er trauerte bereits um den Mann, der ihm das Leben gerettet hatte. Der ihn aufgenommen und sein Brot mit ihm geteilt hatte, im wahrsten Sinne des Wortes.
»Kommen Sie«, sagte Small und wies Richtung Haustür.
Sie gingen hinaus. Draußen begann es schon, dunkel zu werden. Markus konnte es kaum fassen. Der Tag war wie im Flug vergangen.
Vor der Tür legte Small ihm seine schwere Hand auf die Schulter.
»Nun zu Ihnen«, sagte er.
Die Hand wog eine Tonne.
»Ich war das nicht«, sagte Markus. »Mit Ihrer Tochter, meine ich.«
»Ich weiß«, sagte der Reverend. »Rebecca kann mich nicht lange anlügen. Auch wenn sie es bedauerlicherweise immer wieder versucht.«
Er sah auf Markus hinab. »Aber Sie haben sich an den Vorräten der Gemeinschaft vergriffen. Das kann nicht unbestraft bleiben.« Er ließ ihn los. »Wir lassen die Angelegenheit ruhen, bis sich das Schicksal von Charles Taggard erfüllt hat. Danach werden wir über Sie zu Gericht sitzen und ein Urteil fällen, wie es unsere Gesetze vorsehen. Bis dahin erlege ich Ihnen Hausarrest auf. Sie werden jetzt in Charles’ Haus gehen und dort bleiben, bis man Sie holt.«
Der Wald umstand das Dorf schwarz und schweigend und sah mehr denn je wie ein Befestigungswall aus. Markus spürte, wie ihm Tränen kamen.
»Dann gehe ich mal«, sagte er.
Sie wollten nicht kommen, die Tränen. Vielleicht, weil er nicht wusste, worum er weinen sollte. Um seinen Vater? Um Taggard? Um sich selbst?
Beim Schein einer Kerze saß er am Küchentisch, während die Nacht hereinbrach, und lauschte dem Schmerz, der in ihm wühlte. Bilder tauchten auf, Erinnerungen. Der Stapel Life -Hefte, den er als Kind im Sperrmüll gefunden hatte; großformatige Zeitschriften mit riesigen Fotos atemberaubender Landschaften und Stadtsilhouetten, in die er sich hineingeträumt hatte … Ein regelrechter Schatz, das hatte er später gemerkt – komplette, gut erhaltene Jahrgänge aus den fünfziger Jahren!
Bei einem Klassenkameraden war er auf alte Reader’s-Digest -Hefte gestoßen, hatte sie ihm abgeschwatzt und verschlungen. In der bedrückenden Atmosphäre seines Elternhauses, in der man unablässig den nahenden Weltuntergang, die ökologische Katastrophe und den bevorstehende Zusammenbruch beschworen hatte, wurden diese Hefte seine Zuflucht, sein Rettungsboot, seine seelische Arche Noah. Er hatte sich regelrecht am Leben erhalten mit den Geschichten darin, die erzählten, wie Menschen es durch Klugheit und Tüchtigkeit schafften, Widerstände zu überwinden und mit Schwierigkeiten fertigzuwerden. Es hatte ihm Mut gemacht zu lesen, dass andere es geschafft hatten, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, vom Schuhputzer zum Industriellen, vom Laufburschen zum Senator. Und so wurde Amerika für ihn der Inbegriff von Freiheit und Zuversicht. Das Land, in dem man ungehindert seine Kräfte an der Welt messen und das verwirklichen konnte, was in einem steckte. Nicht »alles«, wie es immer so vereinfachend hieß; das
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