Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
rufen, das sich im Garten herumtrieb und nicht ins Bett wollte. »Nehmen wir doch einfach beide Namen.«
»Joy Carolin Westermann?«
»Klingt gut, finde ich.«
»Ja. Klingt gut.«
Hung Wang kam am übernächsten Tag zu Besuch. Klein und still stand er vor der Haustür und wartete, bis er ausdrücklich hereingebeten wurde. Er wirkte älter, als Markus ihn in Erinnerung hatte. Der ledrige Ton seiner Haut war eine Spur dunkler geworden, und er sah mitgenommen aus, wie jemand, der zu viel arbeitete.
Aber vielleicht war er schon immer so gewesen, und Markus hatte es nur nicht wahrgenommen.
Von einer Verstimmung zwischen Vater und Tochter war nichts zu spüren; sie begrüßten einander mit jener asiatischen Beherrschtheit, die Markus wahrscheinlich nie durchschauen würde. Immerhin, so fiel ihm auf, verlor Hung Wang kein Wort über ihre abrupte Heirat, obwohl er zweifellos durch Xiao davon erfahren hatte.
Doch der Anblick seiner Enkeltochter rührte ihn sichtlich, und als er ihren Namen erfuhr, verschlug es ihm die Sprache. Er setzte sich neben Amy-Lees Bett, griff nach ihrer Hand, sah lange ins Leere und sagte schließlich leise: »Weißt du, in letzter Zeit wird mir bewusst, dass ich nicht immer alles richtig gemacht habe. Das ist eine ganz neue Erkenntnis für mich.« Er nickte, in Erinnerungen versunken. »Nein. Tatsächlich habe ich eine Menge falsch gemacht. Eine Menge.«
Markus hatte das Gefühl, dass die beiden einen Moment miteinander allein sein wollten. Er erklärte, er werde mal einen Tee aufsetzen, und ging in die Küche.
Nach einer Weile kam Wang ebenfalls. »Sie schläft«, sagte er und setzte sich auf einen der Hocker an der Küchentheke. »Es hat sie wohl sehr angestrengt, oder?«
»Ja«, sagte Markus. Er goss eine Teeschale voll und reichte sie ihm.
Wang nippte daran. »Was ist das für eine Erfindung, von der Amy-Lee erzählt hat?«
Markus erklärte es ihm. Der alte Mann hörte ihm aufmerksam zu.
»Alkohol«, sagte er dann. »Hmm.«
Weiter nichts. Er trank den Tee in kleinen, bedächtigen Schlucken, hielt ihm die leere Schale wieder hin, und während Markus nachgoss, fragte er, wie es eigentlich komme, dass er plötzlich wieder da sei.
Also erzählte Markus noch einmal alles ausführlich. Wang fragte auch nach; insbesondere das, was Taggard über seine Tätigkeit bei Eurocontact erzählt hatte, interessierte ihn.
»Ja«, meinte er schließlich. »So ist das. Da bekämpfen sie lautstark den Terrorismus in aller Welt, aber für den im eigenen Haus sind sie blind. Der Splitter im Auge des anderen, der Balken im eigenen.«
»Denken Sie, das ist wirklich so?«, wollte Markus wissen. »Dass eine Verschwörung hinter allem steckt?«
Wang schüttelte den Kopf. »Schön wär’s. Eine Verschwörung, die könnte man aufdecken, die Verschwörer vor ein Gericht bringen, und der Spuk wäre vorbei. Nein, ich fürchte, es ist viel schlimmer.« Er trank einen Schluck Tee, dachte nach. »Es ist eine Art Mafia. Das hat eine lange Tradition in diesem Land. Die Gründerväter und die Ideale, die sie in der Unabhängigkeitserklärung festgeschrieben haben – Leben, Freiheit, das Streben nach Glück und so weiter –, das ist die helle Seite der amerikanischen Geschichte. Aber leider nicht die einzige. Die Mafia, die Cosa Nostra , die chinesischen Triaden – das ist die dunkle Seite. Die Geschichte dieses Landes ist ohne diesen Aspekt nicht zu verstehen.«
Markus hob den Deckel von der Kanne, um nachzusehen, wie viel Tee noch darin war. »Hatten Sie jemals selber mit solchen … Leuten zu tun?«
»Ich habe Geschäfte mit China gemacht«, erwiderte Hung Wang beinahe belustigt. »Denkst du, das ging ohne Bestechungsgelder ab? Ohne ein paar gezückte Messer, ohne Drohungen, ohne Blut?« Er schwenkte nachdenklich seine Tasse. »Das Heimtückische ist, dass sich solche Strukturen nahezu von selbst entwickeln. Ich habe Ansätze dazu schon bei mir selber entdeckt. Man hat einen guten Bekannten, der in einer einflussreichen Position ist, dem man einen Gefallen tun kann und tut – und eines Tages ist man unter Druck und bittet ihn seinerseits um einen Gefallen, am Gesetz vorbei, ein ganz kleines bisschen nur … Aber so fängt es immer an.«
»Verstehe«, nickte Markus.
»Es ist keine Verschwörung. Es ist ein Das-machen-doch-alle-so -Ding. Ein Schimmelpilz, der überall dort wuchert, wo Menschen keinen Sinn für Werte haben, keinen Sinn für ihre eigene Würde.« Wang leerte die Tasse vollends. »Ich wollte,
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