Ausgebrannt - Eschbach, A: Ausgebrannt - Ausgebrannt
Rekonvaleszenten in Bademänteln im Kreise ihrer jeweiligen Besucher.
Für Markus hieß das, sich spätestens freitagabends mit Büchern aus der Klinikbibliothek einzudecken, eine Fernsehzeitschrift zu besorgen und sich das Wochenende über nicht außerhalb seines Zimmer sehen zu lassen.
Heute jedoch stand er am Fenster und hielt Ausschau. Sein Zimmer lag im ersten Stock und bot einen guten Blick über die Anlage. Fast zu gut: Er musste sich ein, zwei Meter vom Fenster entfernt halten, denn darunter führte einer der am meisten frequentierten Spazierwege vorbei, zwischen dichten Büschen, die dem Zimmer unter dem seinen kaum Tageslicht lassen konnten. Wobei das vielleicht sowieso kein Patientenzimmer war, wenn er den Gebäudeplan richtig interpretiert hatte.
Ah, da kamen sie endlich. Dorothea und Julian, der unglaublich gewachsen war, seit er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Werner sah er nicht, was vermutlich daran lag, dass sein Schwager noch damit beschäftigt war, einen Parkplatz zu finden. Das war hier an den Wochenenden schwierig, wie man hörte.
Er kehrte ins Bett zurück, wie es für sein Verständnis einem Krankenbesuch angemessener war, und wartete, bis sie klopften und auf sein »Herein!« scheu die Köpfe hereinstreckten, Julian voraus.
»Hallo, Neffe«, sagte Markus.
Julian kam widerstrebend herein, ein wehrloser Elfjähriger, den man in seiner kostbaren Freizeit zu so etwas Entwürdigendem wie einem Besuch bei einem kranken Verwandten gepresst hatte.
»Hi, Onkel Markus«, sagte er. »Sag jetzt bloß nicht, dass ich groß geworden bin.«
»Würd ich mich nie trauen. Obwohl’s mir so vorkommt. Aber wahrscheinlich liegt es daran, dass ich liege und du stehst, was meinst du?«
Julian musterte ihn grübelnd. »Ja«, sagte er ernsthaft. »Das ist eine Frage der Perspektive.«
Markus musste grinsen. »Genau. Eine Frage der Perspektive. Sag mal, bist du immer noch so gut in Mathe?«
Seine Augen wussten nicht, wohin sie schauen sollten. »Na ja. Läuft ganz okay.«
»Was auf Deutsch heißt, dass er lauter Einser schreibt«, erläuterte Dorothea. Sie entschuldigte Werner; er habe mitkommen wollen, aber er war zu einer dringenden Besprechung in die Firma gerufen worden, wegen des Explosionsunglücks in Saudi-Arabien und der möglichen wirtschaftlichen Folgen für das Unternehmen.
»Am Wochenende?«, wunderte Markus sich.
Dorothea nickte bedrückt. »Ein bisschen beunruhigend, oder?«
»Na ja. Ich hab’s im Fernsehen gesehen. Sah schon beeindruckend aus. Bestimmt steigen am Montag erst mal die Benzinpreise; so eine Gelegenheit werden sich die Energiekonzerne nicht entgehen lassen.«
»Ja, das sagt Werner auch.« Sie öffnete ihre Handtasche, holte ein Mobiltelefon heraus und reichte es ihm. »Hier, das Handy, das du wolltest.«
Markus nahm es entgegen. »Hast du es so gemacht, wie ich gesagt habe?«
»Ja. Wir haben ein Handy auf Julians Namen gekauft, und er hat es dann mit einem Jungen aus der Parallelklasse getauscht.«
Markus sah seinen Neffen an. »Und? War es schwer, jemanden zu finden, der mitspielt?«
Julian schüttelte den Kopf. »Nö. Jeder ist heutzutage scharf drauf, immer das neueste Modell zu haben, aber das kann sich nicht jeder leisten.«
»Und was hast du gesagt, warum du das alte Modell willst?«
»Dass ich das neue nicht mehr an meinen PC anschließen kann, weil sich die Schnittstelle geändert hat. Für Fotos und so.«
Markus hob anerkennend die Augenbrauen. »Aber die hat sich nicht wirklich geändert, oder?«
»Nee, klar nicht. Aber das wissen die meisten nicht.« Er musterte das Telefon in Markus’ Händen. »Das ist das von Timo. Der blickt überhaupt nichts. Der weiß nicht mal, dass wir bloß die SIM -Karten hätten austauschen müssen, damit jeder seine Nummer behält.«
»Aber das wollte ich ja gerade nicht«, sagte Markus besorgt.
»Schon klar. Haben wir auch nicht gemacht.« Julian zuckte mit den Schultern. »Ist egal, er hat eh nicht viele Freunde, denen er die neue Nummer sagen muss.«
»Gut«, meinte Markus zufrieden. »Danke dir.« Er sah seine Schwester an. »Und dir auch. Du hast den Spaß schließlich bezahlt.«
»Wozu brauchst du das denn?«, wollte Julian wissen.
Markus betrachtete das kleine, leichte Gerät in seinen Händen und überlegte noch einmal, ob er auch an alles gedacht hatte. »Ich muss jemand anrufen, dessen Telefon mit ziemlicher Sicherheit abgehört wird«, erklärte er. »Deswegen wollte ich ein Gerät, das man nicht so leicht zu
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