Ausgeliebt
er sich verändert.«
Luise sah mich erstaunt an. Sie schob den leeren Vorspeisenteller zur Seite.
Wir hatten nicht sehr auf das Essen geachtet.
»Genau. Als wir vor acht Jahren nach Hamburg zogen, war zunächst alles gut. Dirk fand die Schule klasse, ich wurde Vertreterin,
wir bekamen eine Wohnung in Eppendorf, ich dachte, es würde alles besser.«
Beim Hauptgericht versuchten wir etwas aufmerksamer zu essen. Es schmeckte hervorragend.
Luise sprach mit vollem Mund. »Dirk hasst Fisch.«
Ich schluckte erst, bevor ich antwortete.
|91| »Bernd hasst teure Restaurants mit kleinen Portionen. Das sieht er nicht ein.«
Luise erzählte weiter.
Es kam mir alles sehr bekannt vor.
Zwei verschiedene Leben, zusammengehalten durch die Klammer vieler Jahre und den gemeinsamen Alltag. Freundliche Umgangsformen
ohne Körperlichkeit. Gemeinsame Pläne für Urlaub und Anschaffungen, um sich selbst zu beweisen, dass es eine Zukunft gibt.
Tag für Tag und Jahr für Jahr derselbe Film.
Luise rieb sich die Augen. »Und dann war ich vor zwei Jahren auf der Buchmesse.
Wir hatten eine Veranstaltung in einer Frankfurter Bar, ich kippte ein Glas Rotwein um und traf Alex. Wieder wie im Roman.
Er ist Pressechef in Berlin, wir haben den ganzen Abend und die ganze Nacht geredet und sind dann in meinem Hotelzimmer gelandet.«
Ich hörte fasziniert zu.
Die Dessertteller standen unberührt vor uns. Wir hatten keinen Hunger mehr, Gefühle machen satt.
»Um es kurz zu machen, wir trafen uns wieder. Zwei Wochen später, als ich meinen Vater besuchte. Dann hatte er in Hamburg
zu tun. Seit zwei Jahren habe ich eine Affäre. Einerseits wunderschön, andererseits frisst mich mein schlechtes Gewissen auf.«
Ich bot Luise eine von meinen Zigaretten an.
»Und jetzt willst du dich trennen, von Dirk?«
Luise sah mich traurig an.
»Ich wollte das erst nicht. Alex war ja auch liiert, wir haben damals darüber gesprochen, dass wir uns beide nicht trennen
werden. Wir wollten uns genießen, aber als Ausnahme. Doch seit Februar ist alles durcheinander. Alex hat sich getrennt, er
sagt zwar, die Entscheidung hat nicht nur was mit mir zu tun, ich fühle mich trotzdem unter Druck.«
»Meine Trennung war auch im Februar.«
|92| Ich wusste nicht, ob ich es gesagt oder gedacht hatte. Luise ging nicht darauf ein.
Ich berührte Luises Hand, die mit ihrem Feuerzeug spielte.
»Wie kann ich dir jetzt helfen?«
»Du hast mir schon geholfen. Ich habe es noch nie jemandem erzählt. Und du hilfst mir, wenn ich dich ansehe. Du hast das alles
hinter dir, siehst so gut dabei aus, das nimmt mir die Angst.«
Ich hatte das Gefühl, etwas richtig stellen zu müssen, schwieg aber.
»Weißt du, Christine, bei allen Schwierigkeiten, Dirk ist mein Zuhause, mehr als ich es jemals hatte. Wenn ich bleibe, habe
ich die Sicherheit, vielleicht sind Liebe und Leidenschaft gar nicht so wichtig. Andererseits kann ich mir mein Leben ohne
Alex überhaupt nicht vorstellen. Ich müsste etwas in mir abwürgen.«
Sie sah mich an. Ihre Wimperntusche war verschmiert.
»Es tat gut, das alles zu erzählen. Ich hoffe, ich habe dich nicht damit belastet.«
Ich dachte an Ines, Marleen und Dorothea und lächelte Luise an.
»Dafür sind solche Abende da. Meine Freundin Marleen hat mal gesagt: ›In einem halben Jahr lachst du drüber.‹ Und meine Schwester
schreibt Listen. Du wirst es auf deine Art schaffen, sei sicher.«
Später gingen wir zum Taxistand am Hauptbahnhof.
Luise umarmte mich und flüsterte: »Danke.« Mit einer Stimme, die mir fast die Tränen in die Augen trieb.
Als ich im Taxi nach Hause fuhr, freute ich mich, Luise zu kennen.
|93|
Rückfall
Ich drückte den Schnappverschluss des Koffers zu und atmete durch. In meinem Flur standen zwei Pilotenkoffer, eine Kiste mit
Leseexemplaren, ein Karton mit Formularen und meine Laptop-Tasche. Meine Ausrüstung für die nächsten drei Monate war gepackt.
In den letzten zwei Wochen hatte ich Termine bestätigt, Manuskripte gelesen, Kundenlisten erstellt und Mustermappen geklebt.
Es gab zwei Reisen pro Jahr. Die erste Besuchstour ging von Januar bis April, die zweite von Juni bis September. Bei jedem
Besuch in der Buchhandlung wurde bereits der nächste Termin abgemacht, die Reihenfolge ergab sich daraus.
Es war mein letzter Abend der reisefreien Zeit, der nächste Tag war der erste der neuen Tour.
Ich öffnete eine Flasche Rotwein, nahm ein Glas aus dem Schrank und setzte mich in die Küche.
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