Ausgeliebt
ich im Gästezimmer meine Sachen auspackte und in den Schrank hängte, erzählte ich von meinem ersten Tag. Marleen saß
auf dem Bett, hörte mir zu und trank Champagner.
Ich schob die leere Reisetasche unter den Tisch und setzte mich neben sie.
»Mich drücken diese blöden Erinnerungen so runter. Man sollte einen Ort nicht im Schock verlassen, das holt einen immer wieder
ein.«
Marleen trank ihr Glas leer und drehte es in der Hand.
»Das ist doch klar, es ist die erste Woche hier. Beim nächsten Mal wird das schon einfacher. Und jetzt setzen wir uns in den
Garten. Ich habe Lasagne gemacht und zwei richtig teure Flaschen Rotwein gekauft.«
Nacheinander gingen wir die Treppe runter. Unten drehte sie sich zu mir um.
»Was macht eigentlich dein Ellenbogen und dein Knie?«
Ich musste lachen. »Sei diskret, sonst erzähle ich dir nie wieder etwas.«
Nach dem ersten Glas Rotwein und einem großen Stück Lasagne fühlte ich mich besser.
Die Terrasse war von Rosenhecken und Blumen umgeben, die Sonne schien mir auf den Rücken.
Beim Essen hatte ich Marleen vom Stammtisch erzählt, von dem Abend mit Luise und den letzten zwei Wochen.
|97| »Wenn ich daran denke, dass mir in den ersten Wochen jeder Tag zu lang war, ich mich überfordert fühlte und Angst hatte, umzufallen
und erst nach drei Tagen gefunden zu werden. Weißt du noch? Und in den letzten beiden Wochen hatte ich so viel mit den Reisevorbereitungen
zu tun. Dann kam Nina zum Kaffee vorbei, ich habe mit Eva und Judith eine Radtour gemacht, habe Leonie beim Einkaufen getroffen
und dann noch Luise. Plötzlich läuft es.«
Marleen schenkte Wein nach.
»Und es ist noch nicht mal ein halbes Jahr her. Ich habe es dir gesagt.«
Sie hob den Kopf.
»Kommt da ein Auto?«
Ich hatte es auch gehört. Ich erkannte die Schritte auf dem Gartenweg und das Pfeifen.
Ich zuckte zusammen.
Marleen war aufgestanden und sah um die Ecke. Ihre Stimme klang tonlos.
»Hallo, Bernd.«
»Hallo, Marleen, geht es gut? Ich habe Christines Auto gesehen, wieso hat mir denn keiner gesagt, dass sie kommt?«
Er bog um die Hecke und stand vor mir.
Meine Hände zitterten.
Bernd beugte sich zu mir, küsste mich flüchtig auf die Wange. Er lächelte mich an.
Dieses vertraute Gesicht.
»Christine, ich versuche seit drei Wochen, dich anzurufen, jedes Mal springt nur dein Anrufbeantworter an. Du bist wohl nur
noch unterwegs.«
Ich starrte ihn nur an, konnte nichts sagen.
Marleens Stimme klang eisig.
»Anrufbeantworter können Stimmen aufzeichnen, du hättest was sagen können.«
Bernd ignorierte sie. »Ich würde gerne mit dir reden, unter vier Augen.«
|98| So hatte er mich früher angesehen.
Marleen räusperte sich.
Ich erwachte aus meiner Erstarrung und sah Marleen an. Ich nickte ihr zu.
Sie zog die Schultern hoch, knallte die Teller und die übrige Lasagne auf ein Tablett und sagte: »Dann räume ich mal ab.«
Ihre ganze Körperhaltung drückte Ablehnung aus.
Bernd setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber und sah ihr kopfschüttelnd nach.
»Loyalität ist ja schön und gut, aber Marleen übertreibt ein bisschen. Sie hat mir nicht einmal was zu trinken angeboten.«
Ich war hin- und hergerissen.
»Sie hat dich nicht eingeladen. Und außerdem hat sie gesehen, wie es mir in den letzten Monaten ging.«
Er sah mich lange an. »Davon ist dir aber nichts mehr anzumerken. Du siehst gut aus. Neue Klamotten?«
Ich trug den schwarzen Blazer aus Bremen.
Ich sah ihn wieder an.
»Worüber willst du mit mir reden?«
Er zog seinen Stuhl näher an mich heran, nahm mein Glas und trank.
»Ich fand unser Treffen bei Hans-Hermann ganz furchtbar. Mir ging es hinterher richtig schlecht. Wir hatten doch eine tolle
Zeit zusammen, und dann sitzen wir da wie Feinde und reden über Konten und Kohle.«
»Ich habe nicht damit angefangen.«
»Christine, das weiß ich ja. Es ist einfach alles total blöd gelaufen, ich wollte das so nicht. Ich wollte auch nicht, dass
es dir schlecht geht, wir waren immer ein gutes Team, das können wir doch bleiben.«
Ich verlor meine mühsam erarbeitete Distanz zu ihm.
Er nahm wieder mein Glas, redete weiter.
»Es ist doch Blödsinn, dass wir den Kontakt abbrechen. Wir können uns doch treffen, wenn du hier arbeitest, ich möchte |99| auch mal deine Wohnung in Hamburg sehen. Stattdessen lassen wir Hans-Hermann unsere Ehe auseinander fleddern.«
Unsere Ehe. Ich sah auf meine Hände. Der schmale Streifen, den mein Ehering hinterlassen hatte,
Weitere Kostenlose Bücher