Ausgeliebt
lernte, hatte sie drei Jahre eine Affäre mit einem verheirateten
Mann. Sie muss sehr gelitten haben, ich fand die Geschichte ziemlich deprimierend.«
Marleen winkte ab. »Das war ihre Geschichte, nicht deine. Das ist doch auch Blödsinn, was willst du denn jetzt planen? Du
hast dich verliebt, diesem Richard scheint es auch passiert zu sein, na und? Solange es dir gut geht, ist es doch das Beste,
was dir im Moment passieren kann. Du kannst hier in Ruhe dein neues Leben aufbauen, hast trotzdem was fürs Herz und für die
Lust, warte doch mal ab.«
Edith mischte sich ein.
»Du kannst nichts planen, du musst ihn teilen, du bist eine verschwiegene Geliebte.«
Als ob Marleen Edith auch gehört hätte, antwortete sie: »Du kommst aus einer angeblich zuverlässigen, durchgeplanten Beziehung.
Wann hast du das letzte Mal Herzklopfen gehabt? Vor fünf Jahren? Vor zehn? Das ist doch traurig. Genieß das, was du da hast,
es passiert einem nicht so oft.«
Charlotte bedankte sich leise.
Ich war nicht so sicher. »Ich weiß es nicht, mein Bauch sagt ja, mein Kopf nein.«
Marleen verteilte den Rest des Champagners auf unsere Gläser. Sie blickte mir fest in die Augen. »Christine, dann höre auf
deinen Bauch und lebe das aus. Auf deinen Kopf kannst du dich verlassen, du hast genug geschafft. Aber du hast in den letzten
Jahren nicht genug gelebt, finde ich. Du bist vierzig, du bist unabhängig, du hast dir ein wunderbares Leben eingerichtet,
da kommt Richard doch nur dazu. Und selbst wenn es schief geht, |192| dann wirst du darüber auch ein halbes Jahr später wieder lachen. Also, ich freue mich für dich, lass es einfach zu.«
Ich trank den Rest des Champagners aus.
Edith zog sich zurück.
Charlotte lächelte.
Ich suchte Marleens Blick. »Ich hatte gedacht, mein Leben verläuft jetzt wieder ruhiger und geordneter.«
Sie sah mich gespielt entsetzt an. »Gott bewahre. Das wäre ja grauenhaft.«
Als ich im Bett lag, ließ ich die Gedanken an Richard zu.
Also, dachte ich, dann werden wir es einfach mal passieren lassen.
Kurz danach schlief ich schon ein.
|193|
Paare
Es war der 23. Dezember und ich hatte gute Laune. Zumindest war das mein Vorsatz.
Im Autoradio wurden die ewig gültigen Weihnachtsschlager gespielt, die Weihnachtsbeleuchtungen der Häuser und Straßen vertrieben
dunkle Gedanken, ich hatte eine stürmisch zärtliche Nacht hinter und die Feiertage auf Sylt vor mir. Ich drehte die Lautstärke
des Radios auf, Chris Rea sang ›I’m driving home for Christmas‹, und fuhr auf die Autobahn Richtung Hamburg.
Richard und ich hatten am Abend zuvor unser Weihnachtsessen veranstaltet, jetzt war er auf dem Weg nach Berlin, ich fuhr zu
meiner Familie, ab Hamburg trennten sich auch die Autobahnen.
Ich reihte mich in die lange Reihe der nach Norden fahrenden Autos ein.
Die Radiomoderatorin erzählte mit berufsmäßig lustiger Stimme von einer lustigen Veranstaltung auf einem Weihnachtsmarkt im
Harz, die der NDR veranstaltete, und dass deshalb der Stau vor dem Walsroder Dreieck jetzt schon eine Länge von 21 Kilometern hätte.
Ich drehte beruhigt die Lautstärke leiser, da wollte ich schließlich nicht hin, dann drehte ich wieder lauter, Dido sang ›White
flag‹. Diese CD hatten wir die halbe Nacht gehört.
Ich sah Richards Gesicht vor mir. Er hatte so einen bestimmten Blick, mit dem er mich betrachtete, wenn ich mich auszog. Zärtlich
und begehrlich, ein bisschen lüstern. Ich liebte diesen Blick. Ich liebte auch das, was diesem Blick folgte.
|194| Die Bremslichter des Opel Zafira vor mir leuchteten plötzlich auf. Ich bremste mit, fuhr 50, dann 30, dann stand ich.
Dido wurde für die lustige ND R-Stimme ausgeblendet, die fröhlich verkündete, dass sich mittlerweile auch auf der A1 zwischen dem Bremer Kreuz und Stuckenborstel
der Verkehr auf 25 Kilometern nur zähfließend bewegte.
Klasse, dachte ich. Aber ich hatte ja Zeit. Und gute Laune.
Der Fahrer des Opels legte seine Hand in den Nacken seiner Beifahrerin. Er sagte etwas zu ihr, sie sah ihn an und lachte.
Dann strich sie ihm mit dem Daumen über die Wange, beugte sich zu ihm, küsste ihn.
Ich musste mich räuspern und zündete mir eine Zigarette an.
Meine Trennung war mittlerweile zehn Monate her, mein Leben hatte sich in dieser Zeit unbestritten verbessert. Ich fühlte
mich in Hamburg zu Hause, ich mochte den Kreis meiner Freundinnen, ich hatte mehr Geld, mehr Freiheit, mehr Selbstwertgefühl
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