Ausgeliefert: Roman (German Edition)
Ungefähr fünfunddreißig
Jahre alt, dichtes Haar, so blond, dass es beinahe weiß aussah, an den Seiten kurz gestutzt und oben lang nach hinten gebürstet, so wie deutsche Schuljungen es tragen. Ein glattes rosa Gesicht, straff, rote Flecken von der Größe eines Fünfcentstücks hoch oben an seinen Wangen. Winzige farblose Augen zwischen den Backen und den weißen Augenbrauen, in Schlitze gezwängt. Feuchte rote Lippen über einem Kinn, das kräftig genug war, um in all dem Schwabbelspeck seine Form zu halten.
Er trug eine schwarze Uniform von gewaltigen Ausmaßen. Ein makellos sauberes schwarzes Hemd von militärischem Schnitt, ohne jegliche Rangabzeichen mit Ausnahme der Schulterklappen, die auch alle anderen trugen. Ein breiter Ledergürtel, der wie ein Spiegel glänzte. Scharf gebügelte schwarze Reithosen, oben weit ausgestellt und in hohe schwarze Stiefel gestopft, die ebenso spiegelten wie der Gürtel.
»Kommen Sie rein und setzen Sie sich«, sagte er mit ruhiger Stimme.
Reacher wurde zu dem Stuhl hingestoßen, auf dem er schon einmal gesessen hatte. Er setzte sich mit hinten zusammengequetschten Händen. Die Wachen umstanden ihn in Habachthaltung und wagten nicht zu atmen, starrten bloß mit glasigen Blicken ins Leere.
»Ich bin Beau Borken«, sagte der Mann. »Ich bin hier der Kommandant.«
Die Stimme war hoch. Reacher starrte den Mann an und spürte die Aura, die von ihm ausging, wie ein Leuchten. Eine Aura totaler Autorität.
»Ich muss eine Entscheidung treffen«, sagte Borken. »Und Sie brauche ich, damit Sie mir dabei helfen.«
Reacher bemerkte, dass er den Blick von dem Mann abgewandt hatte. So als ob seine Aura ihn überwältigen würde. Er zwang sich dazu, den Kopf langsam zu drehen und das breite, weiße Gesicht zu mustern.
»Was für eine Entscheidung?«, fragte er.
»Ob Sie leben sollen«, sagte Borken. »Oder ob Sie sterben sollen.«
Holly entfernte die Seitenplatte von der Badewanne. Sie hatte schon oft erlebt, dass Installateure unter der Badewanne, durch die Seitenplatte den Blicken entzogen, irgendwelche Abfälle zurückgelassen hatten. Rohrabschnitte, Holzstücke, ja sogar Werkzeuge. Verbrauchte Tapeziererklingen oder gar irgendwelche Schraubenschlüssel. Jedenfalls Dinge, die sich als nützlich erweisen konnten. In so manchem Apartment, das sie bewohnt hatte, hatte sie solche Sachen gefunden. Aber da war nichts. Sie legte sich auf den Boden und tastete den Raum unter und hinter der Wanne ab, fand aber überhaupt nichts.
Und der Boden unter den Rohrleitungen war völlig massiv. Die Rohre führten durch eigens für sie gebohrte Löcher. Wirklich fachmännische Arbeit. Möglicherweise hätte sie neben dem großen Rohr, das aus der Toilette nach unten führte, einen Hebel einzwängen können. Mithilfe einer Brechstange wäre es ihr vielleicht möglich gewesen, ein Brett zu lösen. Aber in dem Raum gab es keine Brechstange. Und auch nichts, was aushilfsweise als solche hätte benutzt werden können. Der Handtuchhalter bestand aus Plastik und würde sich verbiegen und zerbrechen. Und sonst gab es nichts. Sie saß auf dem Boden und spürte, wie die Verzweiflung über ihr zusammenschlug. Dann hörte sie Schritte vor ihrer Tür.
Diesmal waren die Schritte leise. Sie waren gedämpft, klapperten nicht laut. Jemand, der sich leise und vorsichtig näherte. Jemand, der hier offensichtlich nichts verloren hatte. Sie stand langsam auf. Verließ das Bad und zog die Tür hinter sich zu, um die ihrer Verkleidung beraubte Badewanne zu verbergen. Hinkte zum Bett zurück, während das Schloss klickte und die Tür sich öffnete.
Ein Mann kam ins Zimmer. Er war noch ziemlich jung und trug einen Tarnanzug; sein Gesicht war schwarz verschmiert. Eine bläulich rote Narbe verlief quer über seine Stirn. Er trug eine Maschinenpistole am Schulterriemen, drehte sich um und schloss die Tür lautlos. Drehte sich wieder um und hielt den Finger an die Lippen.
Sie starrte ihn an. Spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. Diesmal war sie nicht angekettet. Diesmal würde der Kerl sterben. Sie lächelte verkniffen über die Logik des Ganzen. Das Badezimmer
würde sie retten. Sie war eine Gefangene hohen Ranges. Jemand, dem man Respekt entgegenbrachte. Ein Mann war hereingekommen, um sie zu misshandeln, und sie hatte ihn getötet – dagegen konnten sie nichts einzuwenden haben, oder?
Aber der Mann mit der Narbe hielt bloß den Finger an die Lippen gedrückt und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Bad. Er
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