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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Familie. Aber wir möchten den Finger sehen, aus Neugier.«
    Pater Diggs ging zu einem langen Tisch, schob einen Haufen Artikel und Flyer zur Seite und reichte uns zwei pinkfarbene Blätter. Die Legende der Heiligen Bernice stand darauf . Der Text war schwer zu lesen, weil die grauen, fleckigen Buchstaben die Fotokopie einer Fotokopie waren.
    »Ich persönlich«, sagte er mehr zu mir als zu Ian, »weiß kaum etwas über diese ganze Reliquiensache. Ich bin 1992 hergekommen, da war alles schon Schnee von gestern. Ich bin aus Omaha, Nebraska, gekommen, wenn Sie das überhaupt glauben können. Ich verstehe noch immer nicht, wie ich in dem großartigen Staat Vermont landen konnte. Aus Concord, haben Sie gesagt? Concord ist eine großartige Stadt.« Er öffnete die große Doppeltür zum Kirchenschiff: Kirchenbänke aus dunklem Holz, vorn ein gleichschenkliges Dreieck aus buntem Glas, an den Seiten der Kreuzweg. Pater Diggs ging durch den Mittelgang, wir folgten ihm. »Es war eine Schenkung Anfang neunzehnhundert. Ein reiches Gemeindemitglied machte eine große Europareise und in Frankreich zeigte man ihm den Finger.« Ich musste mich bemühen, wegen seiner Wortwahl nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. »Ich denke, die Tatsache, dass sie ihm den Finger verkauften, beweist, dass er ihnen nicht viel bedeutet hat. Naja, vielleicht nagten sie ja auch am Hungertuch. Er ist ein nutzloser Gegenstand, aber die alten Frauen in der Gemeinde sind damit aufgewachsen. Für sie ist das wichtig.« Wir hatten inzwischen den Altarraum erreicht. »Wenn Sie mich kurz entschuldigen«, sagte er, »ich sollte vorher dahinten aufräumen. Sie können sich umschauen.«
    Er öffnete eine Tür hinter der Kanzel und duckte sich unter dem niedrigen Türrahmen hindurch. Ich schaute zu Ian hinüber, dessen Gesicht mit Lichtstreifen von dem bunten Glas überzogen war. Seine Wangen waren gelb, blau, orangefarben, mit Schattenlinien dazwischen. Ich ließ ihn stehen und ging zum Seitenschiff.
    Ich wusste nicht, wo der Kreuzweg begann, daher betrachtete ich die Bilder in der Reihenfolge, wie ich gerade an ihnen vorbeikam. Christus begegnet seiner Mutter. Christus stürzt zum ersten Mal. Die Bilder waren schlecht gemalt, und auf einigen sah Christus John Lennon verblüffend ähnlich. Ian beobachtete mich jetzt. Ich befürchtete, er könne nun so etwas wie eine religiöse Offenbarung von mir erwarten.
    In meiner Tasche piepste es zweimal laut, es hallte durch die Kirche. Ian nahm seine Hände vom Altar und machte einen Satz rückwärts, offenbar dachte er, er hätte einen Alarm ausgelöst.
    Ich hatte eine Nachricht auf der Mailbox und kaum Netz. Ich stellte mich halb gebückt unter den Bogen eines kleinen Steinalkovens im hinteren Teil des Altarraums. Ian war mittlerweile damit beschäftigt, in den Bankreihen die Kniebänke herauszuziehen. Ich gab mein Passwort ein und hörte die Nachricht ab.
    »Hallo, Lucy! Es ist Montagmorgen, und du bist nicht zurückgekommen. Ich nehme an, das ist dein Anrufbeantworter. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles machen musste, um deine Nummer zu bekommen, Rocky hat sie für mich herausgesucht, ich habe keine Ahnung, wie viele Unterlagen er dafür durchstöbern musste. Es war schrecklich anstrengend. Für alle.«
    Ich entfernte Loraine ein Stück von meinem Ohr, oder besser, ich entfernte meinen Kopf vom Hörer, während ich das Handy nicht bewegte, um den Kontakt nicht zu unterbrechen.
    »Ich muss unbedingt das genaue Datum wissen, wann du zurückkommst, unten herrscht das reine Chaos. Gestern tauchte der Luftballon-Mann auf, und niemand hat etwas davon gewusst. Rocky hat gesagt, er hätte dir die ganze Geschichte von den Drakes erzählt, und anscheinend hatte Janet Drake zu der Polizei gesagt, sie sollten Sarah-Ann befragen, Gott weiß warum. Ich sagte zu dem Mann, dass du für die Kinderbuchabteilung zuständig bist, nicht Sarah-Ann, aber du bist ja nicht mal hier, und für uns ist das alles sehr peinlich. Sarah-Ann weigert sich, an diesem Freitag die Vorlesestunde zu übernehmen, weil die Kinder in der letzten Woche absolut gemein zu ihr waren. Ich müsste es also selbst machen, wenn du bis dahin nicht zurück bist. Natürlich liebe ich die Arbeit mit den kleinen Engeln, aber ich bin sehr beschäftigt , wie du weißt.«
    Das war das Ende der Nachricht. Kein Gruß zum Abschied, kein Ultimatum, es sei denn, ich sollte die Tatsache, dass Loraine den Kindern vorlesen würde, als Drohung verstehen. Ich war so

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