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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Bücher ausleihen, weil ich nur so viele Bücher mitnehmen darf, wie ich alt bin.« Viele Familien richteten sich nach dieser Regel: Ein fünfjähriges Kind darf fünf Bücher ausleihen, und so weiter. Er lehnte sich an den großen eingetopften Baum vor der Wand und brachte ihn fast zum Kippen.
    »Ich denke, zehn Bücher ist ganz schön viel, meinst du nicht? Du willst deinen Koffer doch bestimmt nicht noch schwerer machen.«
    »Und meine Mutter wird mir nie erlauben, zusätzliche Bücher mitzunehmen, weil sie mir nie irgendetwas erlaubt.«
    »Das klingt hart«, sagte ich, während ich wieder hinter die Theke ging. Er spähte zwischen seinen Armen hindurch, um zu sehen, ob ich ihn noch beobachtete, was ich tatsächlich tat. Er fummelte eine Weile an den Blättern des Baums herum, holte tief Luft und stampfte zum Regal mit den Mythologie-Büchern hinüber.
    Am Ende nahm er die ersten zehn Bände der Bobbsey Zwillinge. »Sind sie so bescheuert, wie sie aussehen?«
    »Ziemlich bescheuert«, sagte ich.
    »Phantastisch.«
    Am späten Nachmittag tauchte Glenn an meiner Theke auf, mit dem Bibliotheksexemplar von 1000 großartige Dates. »Such dir was aus«, sagte er.
    Ich hatte ihn nicht eingeladen, mich bei der Arbeit zu besuchen, und seine Anmaßung störte mich. Wir hatten uns seit dem Konzert mehrere Male gesehen, und er hatte mir regelmäßig Mails geschickt, die ich in der letzten Zeit jedoch nur knapp beantwortete. Irgendetwas an ihm war mir zu glatt, die Art, wie er mir Fragen stellte, die direkt aus den Rendezvous-Ratgebern aus Männermagazinen stammten. »Was ist deine Lieblingserinnerung aus deiner Kindheit?« Und die Art, wie er plötzlich hier auftauchte und seine Klaviertastenzähne blitzen ließ.
    Ich war froh, dass niemand da war. Ich hatte an diesem Nachmittag einige verzweifelte und ergebnislose Anfragen nach Der Polarexpress und Die Nacht vor Weihnachten beantworten müssen, aber im Moment war das Tiefparterre menschenleer.
    »Los, lass uns spontan sein«, sagte er. Das sagte er in der letzten Zeit oft, als handle es sich um eine besondere Tugend. Für einen Jazzmusiker stimmt das wohl, nahm ich an – vier Notenlinien zu füllen, ein Horn in den Händen –, aber für eine Bibliothekarin war Spontaneität alles andere als gut.
    Ich blätterte in dem Buch. »Nimm mich bloß nicht zum Entenfüttern mit.«
    »He«, er beugte sich über die Theke. »Ich nehme dich zum Mond mit, Baby.« Schmierige Sinatra-Stimme und winkende Augenbrauen.
    Ich konnte Loraines Absätze unregelmäßig auf der Treppe hören. »Okay«, flüsterte ich, »tu, als würdest du etwas suchen, los, schnell.« Ich stand auf, zog das weiße Laken von meinem Stuhl und ließ es unter der Theke verschwinden. Ich benutzte es schon die ganze Woche, in der Hoffnung, es würde meine Haut vor dem Sesselstoff schützen, doch mein Ausschlag hatte sich höchstens noch verschlimmert. Ich überlegte, zu einem Sitzsack zu wechseln, den ich mit einem Stapel Bücher stützen wollte – einem riesigen, orangefarbenen Sitzsack-Thron.
    Loraine beugte sich über die Theke und händigte mir einen verschlossenen Umschlag aus, in dem, wie ich aus Erfahrung wusste, ein Gutschein über zwanzig Dollar für eines der Restaurants an der Autobahn steckte. »Frohe Weihnachten«, sagte sie. »Und Chanukka natürlich auch. Sieh zu, dass du ein bisschen Schlaf bekommst, das könntest du brauchen.« Glenn stand da und tat so, als wäre er von den Junie B. Jones- Büchern fasziniert. Als Loraine verschwunden war, schloss ich ab und ging mit Glenn nach oben. An der Haupttheke gingen wir an Rocky vorbei, und ich dachte daran, Glenn als einen alten Freund vorzustellen, aber Rocky kannte ihn natürlich von dem Wohltätigkeitsfest. Deshalb sagte ich nur: »Frohe Weihnachten! Ich ruf dich an wegen Kino!« Rocky warf mir einen Blick zu, als müsse er sich das Lachen verkneifen. Nein: Er versuchte, so auszusehen, als müsse er sich das Lachen verkneifen, bekam es aber nicht ganz hin.
    Glenn und ich gingen zur Trattoria del Norte und tranken viel Wein. Ich bemühte mich um Konversation und stellte fest, dass wir nicht viel Gemeinsames hatten. Und je mehr ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass ich mich nicht mit einem Mann verabreden wollte, dessen Meisterwerk der Werbejingle für ein Reinigungsmittel war. Auch wollte ich nicht anwesend sein, wenn ihn irgendjemand darauf hinwies. Er schien von meiner Ambivalenz nichts zu spüren, er grinste mich ständig über den

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