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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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die sie an ihren Autoantennen und an ihren Briefkästen befestigen würden. Ich fragte mich, ob Rocky zurückgerufen hatte, um mir alles darüber zu erzählen, hatte jedoch keine Lust, das Handy einzuschalten.
    Gegen zehn Uhr abends bekam ich langsam Angst, während der Fahrt einzuschlafen. Wir verließen die Autobahn an einer vielversprechenden Ausfahrt, und Ian entdeckte ein günstiges Hotel, das nicht ganz so schlimm aussah. Wir ließen uns unter den Namen Charlie Bucket und Veruschka Salz eintragen und bekamen zwei Zimmer. (Das schien mir wichtig, obwohl ich wenig Geld hatte, ich wollte mir nicht vorstellen, was andere – der Richter, die Geschworenen, Ians Eltern und die Medien – denken könnten, wenn es je herauskäme, dass wir die Nacht gemeinsam in einem Zimmer verbracht hätten. Wenn meine einzige Verteidigung sein würde: »Nein! Nein! Er ist wahrscheinlich schwul!«) Als wir die Treppe hinaufgingen, sagte ich: »Du hast deinen Eltern keine Nachricht hinterlassen, oder?« Ich weiß nicht, warum ich nicht vorher daran gedacht hatte.
    »Doch«, sagte er. Ich blieb auf dem Treppenabsatz stehen. Er trug seinen Rucksack quer vor der Brust und schleppte sich mühsam vorwärts. »Ich habe geschrieben, sie sollen sich keine Sorgen machen, und habe Anweisungen für Tuna hinterlassen.«
    » Wofür ?«
    »Mein Meerschweinchen. Sie heißt Tuna und hat einen weißen Schopf. Sie wurde nach dem Thunfisch benannt.«
    »Was hast du in der Nachricht geschrieben?«
    »Na ja, so etwas wie ›einen Löffel Futter am Tag, Holzspäne einmal in der Woche wechseln, frisches Wasser‹. Ich habe den Zettel auf den Käfig gelegt.«
    »Sonst nichts?«
    »Nein. Definitiv nichts.«
    Ich stieg die Stufen hinauf und fragte mich, was er mir noch vorenthielt.
    »Oh, warte«, sagte er. »Da war noch etwas.«
    Ich blieb stehen, legte die Stirn an die Ziegelwand und hörte, wie das Blut in meinen Ohren rauschte. »Ja?«
    »Nur noch etwas zu Tunas Vitaminen. Du musst dich ein bisschen entspannen.« Er drehte sich um und stieg die Treppe nun rückwärts hoch.
    Den Rest der Nacht verbrachte ich in einer Art Katerstimmung. Ich schlief schnell und tief ein, als könnte mein Unterbewusstsein es nicht abwarten, die Ereignisse des Tages im Traum zu verarbeiten. Aber als ich plötzlich aufwachte, um 3:11 Uhr morgens, und die Uhr anstarrte, fragte ich mich, ob Ian noch im Nachbarzimmer war. Außer der Uhr konnte ich nur die Blockbuchstaben auf einer kleinen, gefalteten Nachricht sehen:
    UPS! ETWAS VERGESSEN?
    Es handelte sich wohl um ein Nähset oder um Rasierzeug, das man am Empfang bekommen konnte. Ich versuchte, nicht hinzuschauen. Ich schloss einfach die Augen. Die Decke kratzte, aber dafür war das Hotel so billig, dass ich es noch von dem Bargeld bezahlen konnte, das ich am Geldautomaten an der Tankstelle abgehoben hatte. Ich hatte meine Kreditkarte nur einmal benutzt und ich hatte nicht vor, das Risiko, eine Spur zu hinterlassen, noch einmal einzugehen.
    Ich fühlte mich wie Alice, die dem Hasen hinterhersprang, ohne auch nur von fern daran zu denken, wie in aller Welt sie wohl wieder herauskäme. Wenn Glenn hier wäre, hätte er mir gesagt, ich solle mich treiben lassen, improvisieren, spontan sein. Obwohl, wenn Glenn gerade jetzt hier wäre, hätte er zu viel damit zu tun gehabt, das FBI anzurufen, um mir inspirierende Ratschläge zu geben.
    Ian hatte mir vor dem Schlafengehen etwas Zahnpasta abgegeben, aber ich hatte keine Zahnbürste, und mein Mund fühlte sich ekelhaft an. Ich könnte am Empfang eine Zahnbürste bekommen, aber was spielte das für eine Rolle, ich war auf dem Weg ins Gefängnis. Und ich war auf dem Weg zur Hölle, weil ich an mich dachte und nicht an seine armen Eltern. Vielleicht würde sich eine Menschenrechtsgruppe meiner annehmen und sich um meine Verteidigung kümmern, und alle würden sehen, wie ich dieses Kind vor einem schrecklichen Schicksal gerettet habe. Während des Wartens auf den Prozess würde ich nach Mexiko fliehen. Ian würde sich zumindest daran erinnern, dass es einmal jemanden gegeben hat, der versuchte, ihn zu retten. Bis zum Sonnenaufgang lag ich da und ließ mir halb geträumte Szenarien durch den Kopf gehen, die meisten im Gefängnis, einige Szenen waren heldenhaft, in anderen schrien mich alle auf Russisch an. Ich taumelte zur schimmligen Dusche mit einer schrecklichen Trockenheit in der Kehle.
    (Ich lasse es so erscheinen, als hätte ich keine Wahl gehabt. Ich wollte denken, dass ich keine Wahl

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