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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Motorhaube, um seinen Nikotinpegel anzuheben, während Ian und ich in einen Laden für kernige Frischluftfanatiker gingen, einen dieser Läden, die in Maine ihr Stammhaus hatten, denn es war ziemlich sicher, dass wir dort einen Mantel bekommen würden. Je weiter wir Richtung Norden fuhren, desto weniger taugte meine grüne Fleecejacke gegen die Märzkälte.
    »Warum hast du gesagt, dass ich Joey heiße?«, fragte er. Er berührte jedes Kleidungsstück, an dem wir vorbeigingen. Ich war froh, dass er seinen Rucksack mitgenommen und nicht bei Glenn gelassen hatte, und ich war froh, dass es dem lethargischen jungen Verkäufer nichts ausmachte, dass er mit diesem vollbepackten Rucksack durch den Laden stapfte und ständig aneckte.
    »Weil ich glaube, dass ich ihm früher von dir erzählt habe.«
    »Echt?« Er sah verwundert und begeistert aus. Er schob seine Hand in einen Pulloverärmel. »Was hast du ihm erzählt?«
    Ich wollte etwas Belangloses erfinden, zum Beispiel dass die Bibliothek von ihm Miete verlangen wollte, als ich plötzlich die Chance begriff. Ich sagte: »Ich habe ihm erzählt, dass du sehr gute Instinkte hast in Bezug darauf, wer du bist und was du gernhast, und dass ich hoffe, du würdest nie anderen Menschen erlauben, deine Denkweise zu ändern.«
    »Das hört sich an, als hättest du ihm eine langweilige Rede gehalten, wie vor einer Versammlung. Du hättest ihm sagen sollen, dass ich sehr gut Solitär auf dem Computer spiele. Das ist die Wahrheit, ich bin der absolute Meister.«
    »Hilf mir, ein paar warme Blusen zu finden«, sagte ich.
    Ich hatte vier Blusen und einen bauschigen, orangefarbenen Mantel gefunden, als Ian mit einem roten Baumwollkleid mit V-Ausschnitt auf mich zuhüpfte, die Sorte Kleid mit kurzen Ärmeln und ungünstiger Saumlänge, die zu einer Lehrerin der dritten Klasse passte. Oder zu einer Bibliothekarin. Das war wahrscheinlich das einzige Kleid, das hier verkauft wurde. »Du musst das kaufen, falls wir mal in ein feines Restaurant gehen.«
    »So wie McDonald’s?«, fragte ich, griff aber nach dem Bügel. Er warf seinen Rucksack auf den Boden der Ankleidekabine, und ich sagte ihm, dass ich ihn in zehn Minuten wieder erwartete.
    Ich probierte die langärmeligen Blusen an, sie waren fast gleich geschnitten und unterschieden sich nur durch die Farben Rot, Blau, Schwarz und Grün. Im Spiegel sah ich, dass mein Ausschlag besser geworden war. Ich untersuchte die Rückseiten meiner Beine, auch sie waren nicht mehr so krustig und heiß. Also war es doch der Schreibtischstuhl gewesen – falls ich heil nach Hannibal zurückkam, würde ich es Dr. Chen sagen. Ich würde mir selbst einen anderen Stuhl kaufen, oder gleich einen riesigen Yogaball.
    Aber mein Gesicht war eine Katastrophe – Akne und schwarze Augenringe vom Stress, die Lippen trocken und aufgeplatzt –, vielleicht sah ich deshalb in dem orangefarbenen Mantel aus, als wäre ich gerade einem Gefängnis entkommen. Ich betrachtete mich im Spiegel und versuchte, mich an den Anblick zu gewöhnen. Ich stellte mir vor, wie ich mit Handschellen und Fußfesseln aussehen würde. Als ich den Mantel auszog, fühlte es sich an, als gehöre er mir. Ich entschloss mich, ihn zu kaufen, obwohl er mir nicht besonders gefiel. Das war mein normales Verhalten, wenn es darum ging, Kleidung zu kaufen. Wenn ich bei einem Stück das Gefühl hatte, es schon lange zu besitzen, musste ich es kaufen. Ich erkannte, dass dies auch bei Entführungen mein normales Verhalten war.
    Plötzlich wurde mir von dem Neonlicht und der Enge in der Kabine schwindlig, ich setzte mich hin, den Kopf zwischen den Knien. Ians Rucksack lag auf dem Boden, prall gefüllt mit seiner ganzen Ausreißausrüstung. Der Zweig seines inzwischen zerlegten Wandersacks lugte heraus, so dass der Reißverschluss nicht ganz geschlossen war. Während ich darauf wartete, dass endlich das Blut wieder in meinen Kopf floss, öffnete ich den Rucksack und wühlte ein bisschen darin herum. Ein Flanellhemd, ein Kreuzworträtselbuch, drei Paar gerollte Socken, eine Dose, vielleicht für eine Zahnspange, auf der beidseitig mit einem lilafarbenen Edding eine Telefonnummer geschrieben stand.
    Ich glaube, ich wurde genau in diesem Moment aktiv, weil ich mir selbst beweisen wollte, dass ich die Drakes schon längst angerufen hätte, hätte ich ihre Nummer gehabt. Das gehörte zu der Geschichte, die ich mir selbst einredete, um abends einschlafen zu können. Ich schaute aus der Tür, um mich zu

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