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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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ich gehofft hatte, gab es im hinteren Gang ein öffentliches Telefon. Ich steckte Münzen hinein, nahm mein Scheckbuch heraus und wählte die Nummer. Ich wusste, dass es ein großes Risiko war, von dem Ort anzurufen, an dem wir Rast machten, aber nach dem Abendessen würden wir weiterfahren, und vor acht Uhr am nächsten Morgen würden sie nicht die ganze Gegend durchkämmen können. Egal, ob Mr oder Mrs Drake oder die Polizei dranging, ich würde genau das sagen, was ich mir vorgenommen hatte.
    Ich hatte mir während der Fahrt überlegt, ich würde sagen, Ian wäre in Cleveland, im Kunstmuseum. Ich würde ihn dort auf der Treppe zurücklassen und mit Glenn zum Flughafen fahren, den ersten Flug nach Puerto Rico nehmen oder zu einem anderen weit entfernten Ort, zu dem Glenn keinen Reisepass benötigen würde. Zu Glenn würde ich sagen, es sei eine spontane Entscheidung. Und dann würde ich weglaufen oder einfach dasitzen und auf meine Festnahme warten. Ehrlich gesagt, dieses Szenario war nicht ernst gemeint. Ich war nicht bereit, ins Gefängnis zu gehen, und ich hatte auch nicht vor, mein Land hinter mir zu lassen, und ich wollte nicht, dass Glenn für irgendetwas haftbar gemacht würde. Wozu sollte das alles gut sein, wenn ich Ian abschob, ohne dass er darauf vorbereitet war, ohne den Zugewinn einer magischen Kraft, die ihm in den kommenden acht Jahren seines Lebens zur Seite stehen würde. So zufällig sich alles ergeben hatte, es musste sich irgendein Sinn dahinter verbergen.
    Deshalb hatte ich zwei sorgfältig ausgesuchte, beruhigende Sätze gewählt. Ich war sogar darauf vorbereitet, dass Pastor Bob ans Telefon kommen würde. Nur nicht darauf, dass Ian antwortete. Nach vier Klingeltönen hörte ich seine Stimme, klar und näselnd. »Hallo …« Fast hätte ich das Telefon hingeworfen, aber ich schaffte es noch, den Hörer in der Hand zu halten. »… hier sind die Drakes. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht.« Ich hängte leise auf. Mein Arm zitterte bis hinauf zur Schulter. Ich hatte logische Gründe für das Aufhängen. Vor allen Dingen wollte ich nicht, dass meine Stimme aufgenommen und später zurückgespult und analysiert und in den Nachrichten ausgestrahlt wurde, und außerdem hatte ich das Gefühl, gemeinsam mit Ian eine Nachricht zu hinterlassen (und so fühlte sich das an), das wäre ein schlimmerer Verrat, als wenn ich Mr Drake schnell sagen würde: »Ich habe Ihren Sohn gesehen. Er ist in guten Händen und er wird bald wieder zu Hause sein.« Es wäre ein Verrat, auf den ich nicht vorbereitet war.
    Als ich zum Tisch zurückging, war ich irrationalerweise böse auf die Drakes, weil sie nicht zu Hause waren. Waren sie essen gegangen? Vermutlich waren sie in einer Gebetsstunde. Bei einer Nachtwache mit Kerzenlicht. Trotzdem. Was wäre, wenn Ian selbst angerufen hätte und sie hätten die Chance verpasst? Oder sie nahmen die Anrufe auf, weil sie erschöpft waren von den vielen Anrufern, die Hilfe anboten. Es half mir, einen Grund zu haben, auf sie wütend zu sein, zusätzlich zu der Sache mit Pastor Bob. Ich suchte jede Rechtfertigung, die ich finden konnte.
    Ian hatte alle vier Zahnstocher in ein Viertel seines Sandwichs gesteckt und erzählte Glenn von seiner Ultimativen Symphonie. Glenn sah aus, als hätte er Schmerzen. »Und was noch cooler wäre, wenn man einen großen Saal mieten würde, oder ein Stadion oder so was, und man würde einhundert Big-Ben-Glocken verteilen, und alle würden gleichzeitig spielen. Das müsste aber computerisiert sein, oder? Denn wenn nur ein Spieler einen Fehler macht, würde das sehr unangenehm klingen. Wäre das illegal, das Thema mit der Big-Ben-Melodie zu verwenden? Glaubst du, sie würden mich verklagen?«
    Statt zu antworten, winkte Glenn die Kellnerin heran und bestellte einen Martini.
    Ich machte einen mutigen Versuch, das Thema zu wechseln. »In meinem Highschool-Orchester gab es ein Mädchen, das während eines Konzerts eingeschlafen ist. Sie spielte Flöte und schlief ein, mit dem Kopf auf dem Notenständer.« Natürlich hatte sie Drogen genommen, aber das hätte die Geschichte weniger interessant gemacht.
    Den Rest des Abendessens verbrachte Ian damit, dass er so tat, als hätte er Narkolepsie. Als wir das Restaurant verließen, nahm er zwei Hände voller roter und weißer Pfefferminzbonbons von der Theke und ließ sie in seinen Taschen verschwinden. Ich fragte mich, ob wir in einer Notlage davon leben könnten.
    Glenn hatte gedacht, wir würden Ian an diesem

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