Ausgeliehen
vergewissern, dass Ian nicht in der Nähe war, dann klappte ich mein Handy auf und wählte die Nummer so schnell wie möglich, damit ich mir selbst nicht im Weg stehen konnte. Doch bevor ich einen Klingelton hörte, schaffte ich es, nachzudenken, und kam zu dem Schluss, dass ich von meinem eigenen Handy aus anrief, das man mir eindeutig zuordnen und orten konnte, und dass ich keine Ahnung hatte, was ich zu den Drakes sagen sollte, um die Situation nicht noch schlimmer zu machen oder sie fürchterlich aufzuregen, was dazu führen könnte, dass die Polizei uns innerhalb von fünfzehn Minuten auf der Autobahn stellen würde. Ich drückte so fest auf die Taste zum Auflegen, dass mein Daumen schmerzte.
Doch ich fand in meiner Tasche einen Kugelschreiber und schrieb die Nummer auf die Rückseite meines Scheckheftes. Ich wusste, wenn ich einige Stunden zum Nachdenken hätte und es in Amerika noch ein paar Telefonzellen gab, würde ich eine Lösung finden.
Ich stopfte die Dose wieder in den Rucksack und stand auf, um mich mit dem roten Kleid im Spiegel zu betrachten. Ich atmete tief ein und aus und versuchte, meinen Puls zu verlangsamen. Ich schwang die Hüften, und der Rock flog um meine Beine.
Ich kaufte das Kleid und die anderen Kleidungsstücke. Vielleicht hatte ich das Gefühl, reich zu sein. Als ich mit Ian zur Kasse ging, hätte ich fast gewitzelt, dieses Kleid könne nützlich sein, falls ich mich prostituieren müsse. Doch dann erinnerte ich mich daran, dass er erst zehn Jahre alt war, und ließ es bleiben.
Als wir zum Auto zurückkamen, rauchte Glenn eine Zigarette, vermutlich schon seine dritte.
»Ist das nicht illegal?«, fragte Ian mich.
»Was, rauchen? Nein.«
Ian fuchtelte mit der Hand vor dem Gesicht und hielt die Luft an.
Ich hatte seit dem College nicht mehr geraucht, doch nun duftete der Rauch süß und ein bisschen nach Orangen, und ich hatte Lust, am anderen Ende von Glenns Zigarette zu ziehen und die Flamme samt Blättern zu inhalieren.
Stattdessen setzte ich mich mit Ian ins Auto und wartete, bis Glenn fertig war. Ich dachte: wie verantwortungsvoll meinerseits! Wenn ich Ian nicht loswürde, würde das für die nächsten acht Jahre mein Leben sein, das Leben einer alleinerziehenden Mutter, die sich aufopfert, damit ihr Junge ein ordentliches Leben führen kann. Plötzlich sehnte ich mich noch mehr nach einer Zigarette.
Im Auto erzählte mir Glenn eine Geschichte von einem Gastdirigenten, mit dem er in Chicago gearbeitet hatte; dass er neunzig Jahre alt war und hinter der Bühne ein Defibrillator bereitstand, für alle Fälle, und dass er, Glenn, immer erschrocken war, weil der Mann jedes Mal, wenn Glenn die Basstrommel schlug, aussah, als würde er gleich umfallen. »Eine beschissene Situation«, sagte er.
Ich warf ihm einen Blick zu.
»Oh, das Kind hat dieses Wort bestimmt schon mal gehört, stimmt’s, Joey? Wie alt bist du, sieben? Acht?«
»Sieben«, sagte Ian. Ich schaute in den Rückspiegel. Er hatte das beste Pokergesicht, das ich je bei einem Kind gesehen hatte.
»Im Ernst? Du bist ein großer Junge. Als ich sieben war, mochte ich Cheeseburger. Magst du Cheeseburger?«
»Sehr!«
»Wie dem auch sei, ich schlage also so auf meine Trommel und schau auf, und der Kerl ist schweißgebadet, dann schau ich rüber zum Paukisten, und der bewegt lautlos die Lippen, um mir etwas zu sagen.«
Ich schaltete Glenn in Gedanken ab und hörte stattdessen Ian zu, der jetzt nicht mehr die australische Hymne sang, sondern zu »Hava Nagila« übergegangen war, das er bestimmt tatsächlich in der Schule gelernt hatte. Wenn das so weiterging, könnte Glenns Zeugenaussage die Geschworenen ziemlich durcheinanderbringen. »Ich schwöre, Euer Ehren, es war ein jüdischer Junge, der erst sieben Jahre alt war. Sein Onkel kam aus Venezuela.«
Wir tankten an der Grenze zu Ohio. Dort gab es zwar ein öffentliches Telefon, aber es befand sich direkt vor der Tankstelle, ich hätte es nicht benutzen können, ohne dass Ian es mitbekommen hätte. Stattdessen beschloss ich in einem Anfall von Unreife, eine Packung Camel zu kaufen, nur damit die Zigaretten da waren. Es war ein gutes Gefühl, sie mit dem neuen grünen Feuerzeug in meine Tasche zu stecken – wie ein kleiner Nikotinrettungsring. Ian war auf der Toilette, und Glenn füllte drei Gläser mit einem Eisgetränk.
Ian trank auf dem Weg zum Auto fast alles aus und hüpfte vor uns herum. »Ich mag deinen kleinen Freund«, sagte Glenn.
»Er ist sehr witzig,
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