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Ausgeliehen

Ausgeliehen

Titel: Ausgeliehen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Makkai
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Amerika von außen zu betrachten, der Außenseiter zu sein, mich als Underdog zu fühlen und nicht als Herrscher. Ich könnte nach Australien ziehen, ins Land der Kriminellen und Exilanten. Die Hymne kannte ich bereits.
    Als wir die nächste Tankstelle anpeilten, klingelte mein Handy. »Geh nicht dran«, sagte ich, weil Ian schon die Hand nach dem Armaturenbrett ausstreckte, auf dem das Handy lag. Ich ging dran, als wir an der Tanksäule standen.
    »Ich bin’s«, sagte Glenn. Ich drückte Ian fünf Dollar in die Hand und deutete auf den Tankstellenshop. Er hüpfte aus der Tür.
    »Ich hatte einen ganz verrückten Tag«, sagte ich, stieg gedankenverloren aus und tankte.
    »Wann fährst du nach Hause?« Seine Stimme war zu laut und zu belegt, und wenn ich es gewesen wäre, die ihn anrief, hätte ich geglaubt, ihn aufgeweckt zu haben. Mir fiel gerade noch rechtzeitig ein, dass ich angeblich immer noch in Cleveland war.
    »Bald, denke ich. Ich könnte dich mitnehmen, weiß aber noch nicht genau, wann.«
    »Ich habe schon eine Mitfahrgelegenheit gefunden.«
    »Wunderbar! Ich meine, auch gut.«
    Er seufzte oder gähnte, ich konnte es nicht feststellen. »Ich gehe davon aus, dass du nächstes Wochenende nicht mit mir zu der Veranstaltung gehen wirst.« Er hatte noch ein Konzert, die zweite Aufführung des Meister-Proper-Remix, der offensichtlich von der Kritik bejubelt worden war, wenn auch nur auf irgendwelchen Musikseiten im Internet, die kleine moderne Musikstücke für Orchester in St. Louis besprachen und nicht besonders oft angeklickt wurden. »Ich meine, du warst der Meinung, dass mein Stück wie eine Werbung klingt, also …«
    »Ich versuche es zu schaffen«, sagte ich. »Wahrscheinlich fahre ich noch für eine Weile zurück nach Chicago, um meiner Freundin unter die Arme zu greifen, so ist es eben.«
    »Bestimmt«, sagte er. »Wenn wir schon darüber reden, dieser Typ hat angerufen.«
    Ich dachte sofort an die Polizei. »Welcher Typ?«
    »Dein behinderter Freund. Rambo oder so. Er hat gefragt, ob ich etwas wüsste von einem Kind aus der Bibliothek.«
    Das ergab keinen Sinn, dazu hätte ich mehr erfahren müssen – zum Beispiel, wann genau dieses Gespräch stattgefunden hatte –, doch alles, was ich wollte, war, diese Unterhaltung zu beenden, das Handy rutschte schon aus meiner verschwitzten Hand. Die einzige Frage, die mir einfiel, war: »Woher hat er deine Nummer?«
    »Verdammt, wie soll ich das wissen? Weil er in dich verliebt ist und dir nachspioniert. Lucy, muss ich deinetwegen die Polizei informieren?«
    »Warum, zum Teufel?«
    »Das musst du mir schon sagen.«
    »Weil ich nicht zu deinem blöden Konzert gehe? Weil ich meiner kranken Freundin helfe? Ich weiß Bescheid über das Kind in der Bibliothek. Ich habe mit Rocky gesprochen, und mich nimmt das Ganze unglaublich mit.«
    »Es ist nur alles so seltsam. Dieser Typ hat gesagt, du hättest schon Knochenmark gespendet.« Also hatte er Glenn nach unserem Telefonat angerufen, das vor wenigen Stunden stattgefunden hatte. Das war ein schlechtes Zeichen.
    »Er hat sich geirrt.« Die Benzinpumpe klickte, der Tank war voll. Ian würde jeden Moment herauskommen.
    »Du bist eine schlechte Lügnerin.«
    »Ich bin eine ausgezeichnete Lügnerin. Schließlich habe ich dir doch gesagt, dass mir dein orchestrierter Werbesong gefallen hat.«
    Das hatte ich instinktiv gesagt, wenn auch nur, um ihn loszuwerden. Es wäre ja nicht falsch, wenn er wütend auf mich würde. Wenn Rocky ihn noch einmal anrief, würde er sagen, er habe schon seit Tagen nichts mehr von mir gehört und von ihm aus könnte ich in der Hölle schmoren.
    Was er zu mir sagte, war: »Ruf mich ja nie wieder an.«
    Ich fuhr bis zur Tür des Shops und wartete auf Ian. Obwohl ich einen vagen und unerklärlichen Drang zu weinen verspürte, war ich erleichtert. Nun, da es keinen Glenn mehr gab und Rocky vermutlich festgestellt hatte, was für eine furchtbare Person ich doch war, gab es keinen triftigen Grund mehr, nach Hause zu fahren – außer Ian, der aber nicht dort war, sondern hier . Er kam aus dem Laden, den Mantel trug er umgekehrt, seine Arme steckten in den Ärmeln, so dass es aussah, als wüchsen seine Handgelenke aus den Schultern. Nun war es immer weniger denkbar, Hannibal als Zuhause zu betrachten. Chicago war ein Zuhause, das Haus der Labaznikows war auch eine Art Zuhause, und mein Auto war ganz bestimmt ein Zuhause. Hannibal war eine ferne Erinnerung.
    Wir fuhren an einigen Autobahnausfahrten

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