Ausgeliehen
mexikanische Käse-Tortilla, einige in die Tasche gesteckte Pfefferminzbonbons, tranken sechs Gläser Orangensaft, zwei riesige Eisgetränke mit Kirschgeschmack und rauchten eine Zigarette. Aber sie fuhren weiter.
Am Donnerstag aßen sie zwei Donuts, zwölf Doppelkekse, zwei Sandwiches mit Putenfleisch, Marta Labaznikows Spaghetti mit Fleischklößen und Knoblauchbrot und tranken ein Glas Orangensaft mit der Beigabe von zwei Päckchen Kaffeeweißer »für die Konsistenz« und eine Unmenge Kaffee. Aber sie fuhren weiter.
Am Freitag aßen sie kanadischen Schinken, Rühreier mit Gemüse, Käse, Brot, Marmelade, Erdnussbutter, Salami, Senf, vier Aspirin und einige Schokolinsen und tranken Milch, Bier und zwei Milchshakes. In dieser Nacht hatten sie Bauchschmerzen.
Der nächste Tag war Samstag. Sie tranken zwei grüne Smoothies aus dem Bioladen. Es ging ihnen nun ein wenig besser.
Und das war alles. Sie bauten sich keinen Kokon.
Sie schafften keine Metamorphose. Sie schafften es nicht, davonzufliegen.
Um Geld zu sparen, einigten wir uns auf ein Zimmer für diese Nacht, solange ich Ian versprach, nicht zu sagen, er solle die Leselampe ausmachen und schlafen. Ich war bereit zu akzeptieren, dass es, wenn mir der Prozess gemacht würde, egal war, wie unsere Schlafverhältnisse gewesen waren. Es stellte sich heraus, dass es viel einfacher war, ein Zimmer zusammen zu nehmen. Für die redselige Frau an der Rezeption waren wir Mutter und Sohn. Sie fragte Ian, in welche Klasse er gehe und wie seine Schule heiße. (Er antwortete: »Sankt-Marien-Schule der Kirche Gottes.« Später sagte er: »War das nicht genial? Jetzt hält sie mich für katholisch.«)
Ich brachte Ian um halb neun ins Zimmer und beschloss, noch einmal hinunterzugehen und mich zu betrinken. Nicht so sehr, dass ich jedem im Raum erzählen würde, was ich eigentlich hier machte, aber genug, um für einen Moment oder zwei zu vergessen, was zu Hause passiert war, warum Rocky Glenn angerufen hatte, was Loraine der Polizei gesagt hatte und ob die Drakes zusammen mit dem Grenzschutz uns schon bis auf die letzten fünf Kilometer eingeholt hatten. Zu Ian sagte ich, ich wolle noch ein paar Anrufe erledigen.
Ich setzte mich ans Ende der Bar, nahm meinen kleinen Spiralblock und den Kugelschreiber aus der Tasche und legte sie vor mir auf die Theke, als wäre ich damit beschäftigt, eine Liste zu erstellen – das war ein alter Trick, um freundliche Fremde fernzuhalten. Ich stellte den Stuhl so hin, dass ich den Rest des Raums sehen konnte. Die Männer waren alle extrem dünn, und die Frauen trugen Fleecejacken bis zum Knie. Die Bardame war dieselbe Frau wie vorher am Empfang, mit ihrer großen, blauen Strickjacke und dem aufgestickten gelben Vogel auf der linken Brustseite. Ich bestellte mir einen Wodka Tonic und dann noch einen. In einer Ecke des Raums, etwas abgewendet, saß ein Mann, der nicht hierher passte. Sein schwarzes, glattes Haar war nach hinten gekämmt, und er trug einen dunklen Blazer. Ich versuchte mich so zu drehen, dass ich sein Gesicht sehen konnte, sah aber nur seinen Teller mit Hühnerbruststreifen, der unberührt vor ihm auf dem Tisch stand, und daneben ein sehr teures neues Handy. Ich wandte mich so langsam wie möglich zum Fenster, das auf den beleuchteten Kies des Parkplatzes hinausging. Da war mein Auto, aber nicht, wo ich es geparkt hatte. Und nicht mit meinem Nummernschild. Es war ein Nummernschild aus Pennsylvania.
Ich wollte fliehen, in einen anderen Staat, ein anderes Land oder auf einen anderen Planeten, aber Ian zu wecken und mit ihm beim Fluchtversuch gesehen zu werden, das war vielleicht die schlechteste Entscheidung. Ich konnte mich nicht entschließen, was besser war, also nahm ich eine Zigarette. Meine Hände zitterten beim Versuch, sie anzustecken, aber die Bardame eilte schnell zu mir. Sie sagte: »Entschuldigung, Süße. Wir sind jetzt auf der Liste der denkmalgeschützten Gebäude, hier darf nicht geraucht werden. Ich wünschte, ich könnte es dir erlauben.«
Ein Mann neben mir ergriff das Wort, er lallte schon etwas: »Das lässt einen doch hoffen, dass die Befreier das Ruder übernehmen.«
Dabei starrte er mich ganz seltsam an. War das so etwas wie »Ich bin ein verdeckter Ermittler mit einer versteckten Waffe und ich habe dein Fahndungsfoto auf der Post gesehen«?
»Sie sind nicht die Befreierin, von der ich gehört habe.« Er meinte mich. Ich nahm die Zigarette aus dem Mund, ich hatte Angst, sie zu verschlucken.
»Die
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