Ausgeloescht
glaubte.« Das Lächeln löst sich in das großäugige Staunen eines Kindes auf. »Danach war ich ein braves Mädchen. Er hat mir nie etwas getan, wenn ich ein braves Mädchen war ...«
Sie verstummt. Ich warte, aber es kommt nichts mehr.
»Waren Sie die ganze Zeit im Dunkeln, Heather?«, frage ich sie.
Sie starrt vor sich hin.
»Heather?«
Sie zuckt zusammen. »Was? Oh ja. Eigentlich ... ja, die ganze Zeit. Es gab eine Toilette. Die musste ich im Dunkeln finden und im Dunkeln benutzen. Die Tage konnte ich nur anhand der Mahlzeiten zählen. Drei Mahlzeiten waren ein Tag, und so zählte ich. Das Problem war nur, dass es Zeiten gab, da ist er nicht gekommen. Dann ließ er mir Trockenfutter da, aufgeteilt in Portionen.« Sie runzelt die Stirn. »Ich habe versucht, die Portionen zu zählen und durch drei zu teilen, aber ...« Sie seufzt und lässt zum Zeichen der Nutzlosigkeit den Kopf hängen. »Ich habe den Anschluss verloren. Besonders als ich anfing, mit mir selbst zu reden ... zuerst mit mir selbst und dann mit ihnen ...« »Mit wem?«, frage ich.
Sie lächelt glückselig, und dieses Lächeln wischt die Verstörtheit und das Leid aus ihrem Gesicht. In ihrer Stimme schwingt Freude mit. »Mit meinen Jungen«, sagt sie. »Mit den Stimmen im Licht, die mich trösteten. Ohne sie ... ich weiß nicht.« Wieder pult sie am Schorf, bis es blutet. »Ich wäre vielleicht verrückt geworden.«
Mein Magen rebelliert, nicht vor Abscheu, sondern vor Entsetzen. Seit ich klein war, war es immer meine größte Angst, verrückt zu werden, ohne dass ich es merke. Wie in dem Film über John Nash,
A Beautiful Mind.
Nachdem ich ihn gesehen hatte, konnte ich tagelang nicht schlafen.
»Haben Sie den Mann gesehen, Heather? Haben Sie sein Gesicht gesehen? Oder etwas anderes, das uns helfen könnte, ihn zu identifizieren?«
Wieder zuckt ihre Wange. Einmal, zweimal, dreimal. Sie schüttelt den Kopf. »Nein ... ich habe immer nur Dunkelheit gesehen und das Licht in der Türöffnung.«
Sie verzieht das Gesicht. »Man kann die Dunkelheit sehen, genau wie man sie fühlen kann. Alles wird viel schärfer. Ich habe jetzt Ohren wie eine Fledermaus, wussten Sie das?« Sie erschrickt mich mit einem schrillen Quieken, mit dem sie offenbar eine Fledermaus nachzuahmen versucht. »Und meine Haut ...«, sagt sie dann und streicht sich über die Arme. Ich sehe, wie sie eine Gänsehaut bekommt. »Meine Haut ist auch viel empfindlicher geworden.« Sie blickt mich angestrengt an. »Aber jetzt sehe ich. Ich sehe wirklich, oder? Es ist doch nicht bloß wieder ein Traum?« Sie kratzt sich an einer blutigen Stelle am Arm. »Nein, das ist wirklich«, versichere ich ihr.
Sie lässt den Blick durchs Zimmer schweifen und besieht sich alles; dann zuckt sie die Achseln. »Es kommt mir nicht so vor.« Seufzend lehnt sie sich ins Kissen. »Ich bin müde. Schlafenszeit.« Dann, mit einem Ruck, setzt sie sich ängstlich auf. »Oder ist Essenszeit?« Sie streckt die zitternde Hand nach mir aus. »Tut mir leid, wenn ich die Essenszeit verpasst habe, ehrlich. Es soll nicht wieder vorkommen.«
Ihre Stimme wird schrill. »Ich wusste es nicht! Sie werden mich doch nicht schlagen?«
Ich kämpfe die aufsteigenden Tränen nieder und nehme ihre Hand. »Niemand wird Sie mehr schlagen, Heather. Das verspreche ich Ihnen.«
Sie beruhigt sich, aber ich sehe ihr an, dass sie mir nicht glaubt.
»In ihrem jetzigen Zustand kann sie nicht mehr für uns tun«, sagt Alan.
Wir stehen vor Heathers Zimmer. Burns ist still; er sieht mitgenommen aus. Ich bin jetzt schon müde. Der Tag ist noch jung, und wir haben gerade erst angefangen, uns durch den klebrigen Schlachthauskühlraum zu wühlen, den dieser Täter uns beschert hat und in dem Heather Hollister vielleicht das geringste Problem ist.
»Mag sein, dass sie nicht viel für uns tun kann«, pflichte ich Alan bei, »aber sie hat uns einiges erzählt. Wir wissen jetzt, wie der Täter sie entführt und wie er sie behandelt hat. Das wird uns bei der Erstellung des Täterprofils nützen.«
»Profil?« Burns schüttelt den Kopf »Ich sage Ihnen sein Profil: Er ist ein toter Mann.«
Weder Alan noch ich erwidern etwas. Vielleicht weiß Burns nicht, welche Folgen es haben könnte, in unserem Beisein Morddrohungen auszustoßen, aber wir halten den Mund. Wir können seine Wut verstehen.
»Was nun?«, fragt Alan.
»Ich werde Callie anrufen. Mal sehen, ob sich bestätigt hat, dass das jüngste Opfer Jeremy Abbott ist. Dann gehen wir zu
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