Ausgerechnet Souffle'!
Es läuft alles zu glatt. Nach dem Fiasko Dr. Hennemann scheine ich entweder dermaßen auf dem Tiefpunkt angekommen zu sein, dass mir die geringste Verbesserung wie das pure Glück vorkommt. Oder es verhält sich tatsächlich so. Ich habe einfach mal Schwein. Ich beschließe, meine Ängste vor Nebensätzen endlich zu begraben. Gleichzeitig piept der Laufcomputer und teilt mir mit, dass ich mein Ziel erreicht habe. Meine Knie wackeln, als das Band bei Kilometer Zwölf allmählich zum Stillstand kommt.
*
Der Muskelkater am darauf folgenden Morgen schmerzt unaussprechlich. Meine Gummibeine sind kaum in der Lage, den ausgreifenden Schritten des Handwerkermeisters zu folgen, der mit finsterem Gesichtsausdruck und immerwährendem Kopfschütteln den Gemüseladen in Augenschein nimmt. Die Internetpräsenz seines Betriebs verspricht in beeindruckenden Bildern Maßarbeit vom Profi, die Wirklichkeit präsentiert mir einen grobschlächtigen, verlotterten Bär, der sein Fell nicht nur im Gesicht, sondern vor allem auf den Zähnen hat. Ganz abgesehen von der unfreundlichen Begrüßung, die lediglich in einem knappen Nicken und einem Händedruck bestand, der mir beinahe sämtliche Finger gebrochen hätte. Seit einer Viertelstunde hat er kein Wort verloren, auch nicht aus Versehen. Unverdrossen spurtet er im Affenzahn hin und her, murmelt in seinen wild wuchernden Vollbart, schaut nach oben, nach unten, von rechts nach links. Und ich, wie ein Lemming hinterher, um bloß den Anschluss nicht zu verlieren. Unterwegs stolpert er über Kisten, die er ungehalten wegkickt, reißt an der Wandverkleidung und rupft lose Tapete herab. Er schnaubt und schüttelt den Kopf. Ich gehe intuitiv in Deckung, als ein Brett achtlos in meine Richtung fliegt. Beim achten Durchgang durch ein und denselben Raum (es gibt nur einen) gebe ich auf und denke darüber nach, wie ich den Pseudofachmann loswerden könnte. Kaum fällt mir eine nette Formulierung für „Nein danke, vielleicht ein andermal, aber in diesem Leben fassen Sie hier nicht eine Fliese an!“ ein, bleibt der Riese im Blaumann plötzlich wie angewurzelt stehen und überprüft mit deutlichem Missfallen die Brüstung. Dann rüttelt besagter Profi kräftig am Treppengeländer, bis das poröse Metall entkräftet aufgibt. Beinahe erstaunt betrachtet er die Stange in seiner Hand.
„Das kommt alles neu.“
Seine Stimme tönt erstaunlich knabenhaft für einen Mann dieser Größenordnung. Fast muss ich grinsen. Er nickt, wie um sich selbst zu bestätigen und macht sich erneut auf den Weg zu Rundgang Nummer Neun. Zeit für energische Worte, um diesem Kerl die Tür zu weisen. Ich hole Luft, um ihm die Absage zu erteilen, doch er hebt nur den Zeigefinger und bedeutet mir damit unmissverständlich, die Klappe zu halten.
Na gut. Dann nicht. Achselzuckend setze ich mich auf die oberste Treppenstufe und packe meine Käsebrötchen aus. Gerade beiße ich herzhaft in das Korneck, als sich der Handwerker neben mir niederlässt. Meinem erwartungsvollen Blick begegnet er mit Schweigen. Vielmehr schielt er begehrlich auf meinen Frühstücksbeutel. Wirklich, ich spiele kurzfristig mit dem Gedanken, ihm mein Brötchen an den Kopf zu werfen. Stattdessen biete ich ihm die Tüte an.
Mir sind Leute ein Gräuel, die mit vollem Mund reden. Aber allein, dass er überhaupt sprechen kann, überrascht mich dermaßen, dass ich ihn gewähren lasse. Viel verblüffender finde ich weniger das, was er im Mund hat, als das, was plötzlich dort heraussprudelt. Klar und detailliert zählt er mir sämtliche Mängel der Räumlichkeiten auf, wägt Für und Wider erforderlicher Maßnahmen zur Beseitigung derselben ab und umreißt kostengünstige Alternativen. Er verzichtet auf unverständliches Fachchinesisch und malt in bunten Farben aus, wie er sich einen Umbau zum Kochbuchladen vorstellt. Andächtig lausche ich seinen ungewöhnlichen Ideen, bis auch meine letzten Zweifel begeisterter Zustimmung weichen.
Einige Mauern reißen wir heraus und ziehen zur rechten Raumseite, welche zukünftig für die Küche vorgesehen ist, eine Glaswand bis zur Decke hinauf. Die Kochstube wird dadurch vollkommen einsehbar, sowohl vom Buchladen als auch von der Straße aus. Der Bodenbelag bleibt weitgehend erhalten, die brüchigen Steinfliesen werden sorgsam restauriert. Zusätzlich verlegen wir alte Schiffsbohlen. An der dem Glaskasten gegenüberliegenden Wand stellen wir massive Regale auf. Hier findet der Kunde nebst Kochbüchern auch Muttis
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