Ausgerechnet Souffle'!
wisse er nicht recht, ob er so vertraulich sein dürfe.
„Ich kenne diesen Raum.“
Wie meint er das denn nun?
Mein neuer, persischer Freund dreht den Zündschlüssel. Ehe ich Einwände erheben kann, werde ich Opfer einer Entführung. Und komme in den Genuss von einwandfreiem Vitamin B.
Der Gemüseladen, in dem Soraya Askari aushilft, sah ehemals bessere Zeiten. Schon lange läuft der nahe, trendige Bio-Supermarkt dem kleinen Betrieb in der Seitengasse der Körnerstraße den Rang ab. Die mickrige Klingel über der Tür meldet schüchtern nur noch eine Handvoll Stammkunden, die eine Tüte Äpfel oder Tomaten kaufen wollen. In der Tür hängt ein Schild. „Zu verpachten“.
Ich betrachte die lindgrüne Fassade mit der stattlichen Fensterfront. Darüber müssen Wohnungen liegen. An der Seite erspähe ich einen bewachsenen Hinterhof, in dem sich Holzkisten stapeln. Drei Stufen führen in das großzügige, quadratische Ladenlokal hinein. Auf dem Boden bemerke ich maurische Steinfliesen, teilweise abgeschlagen und durchzogen von feinen Adern aus Rissen. Ich finde sie wunderschön. Ein wenig benommen taxiere ich den Verkaufsbereich des Geschäftes. Am hinteren Ende führt eine Öffnung in den Gang zum Treppenhaus des Gebäudes, in dem ich zusätzliche Räume vermute. Zwischen den klimpernden Strängen des Perlenvorhangs lässt sich eine sporadische Küche erkennen. Baabak spricht mit einem kleinen, dicken Landsmann und gestikuliert zwischendurch in meine Richtung. Ich lächle abwesend. Die Stimmen der beiden treten längst in den Hintergrund. Meine farbigen Zeichnungen, die zuhause auf dem Tisch ruhen, erheben sich in meiner Vorstellung aus ihrer Zweidimensionalität und legen sich räumlich über das Bild, das sich mir bietet. Es ist nahezu perfekt.
Plötzlich hüpft mein Herz. Die Wörter „Obst & Gemüse“ auf dem ausgeblichenen Schild beginnen, in meiner Fantasie zu tanzen. Die Buchstaben verblassen. Dann sehe ich den Schriftzug, der sich klar und deutlich erhebt:
„Cook & Chill – Bücher und Genuss“.
6. Nudeldick
„Venus“.
Wer immer sich diesen genialen Namen für das Sportstudio ausgedacht hat, kann eindeutig nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen sein. Ich meine, warum quält unsereins sich in einen Fitnessclub? Kaum, weil man von sich behauptet, wie die Göttin der Liebe auszusehen. Und bestimmt nicht, da man glaubt, auch nur annähernd so aussehen zu können. Vom Wollen redet hier keiner. Man stelle sich also Frau Moppel vor, die schon seit zig Jahren nicht mehr fähig ist, in der Dusche einen Blick auf ihre eigenen Zehen zu erhaschen. Frau M. hat demzufolge die Faxen mächtig dicke. Sie sagt ihrem Wanst den Kampf an. Blättert im Telefonbuch und stößt auf den magischen Titel: „Venus.“ Ich meine, da gehören mindestens drei Ausrufezeichen dahinter. Frau M. unterschreibt im Geiste bereits den Jahresvertrag. Liest sie doch in den verheißungsvollen fünf Buchstaben das Versprechen ihrer unerfüllten Sehnsüchte. Reiner Betrug, sage ich nur. Mit der Schönheitsgöttin hat da drin allenfalls die neunzehnjährige Jungfitnesstrainerin etwas zu tun. Bei deren Work-outs verlangt man nach wenigen Minuten „Aufwärmtraining“ japsend nach einem Inhalator. Nicht länger zur jüngeren Generation zu zählen, wird einem jedoch spätestens beim prüfenden Blick in den Spiegel klar. Trotz größter Anstrengung, die kniffeligen Tanzschritte nachzuahmen, kommt das Ergebnis nicht wirklich cool rüber. Das liegt daran, dass zu unserer Zeit Jazztanz und Discofox angesagt waren. Wir können diese Art von fließenden Bewegungen nicht mehr ablegen. Und die vertragen sich nun mal nicht mit abgehackten Hip-Hop-Moves. Davon abgesehen sieht es aus, als tänzle eine in die Jahre gekommene, speckige Jennifer Beal-Kopie auf rohen Eiern durch den Kursraum. Diejenigen Damen gesetzten Alters, die das kapiert haben, strampeln gemütlich bei Bio-Apfelschorle und Frauenzeitschrift auf dem Sitzfahrrad. So können sie sich zumindest einreden, sportlich zu sein. Man tut, was man kann und was nicht geht, das geht eben nicht.
Ich beschloss direkt am ersten Tag, das „Venus“ weniger im körperlichen, als im geistigen Sinne zu verstehen. Als Ort, an dem ich zeitweise ganz ich werde. Und ich muss ganz dringend, ganz eilig, vollkommen ich werden. Vorsichtshalber erhöhe ich die Schrittzahl auf dem Laufband, damit es schneller geht. Heiner guckt schon komisch von der Theke herüber. Ironischerweise
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