Ausgerechnet Souffle'!
so nervös gemacht, dass er auf ein kompaktes Format geschrumpft ist, noch ehe die Unterredung überhaupt begonnen hat.
So beschäftige ich mich im Arbeitszimmer mit allem Möglichen, um meine Aushilfe erfolgreich zu ignorieren. Ich sortiere meine Rollcontainerschublade, wische mit einem Lappen über den Computerbildschirm und wühle in meiner Postmappe. Sascha steht zuerst neugierig entspannt, im weiteren Verlauf bemüht geduldig und nach fünfzehn Minuten reichlich unruhig im Türrahmen, während ich in irgendwelchen Ordnern blättere. Als er sich wiederholt räuspert, tue ich so, als erinnerte ich mich erst jetzt wieder seiner Anwesenheit.
„Setz dich doch,“ zeige ich mit dem Kinn auf den Besprechungsstuhl mir gegenüber und studiere zum zehnten Mal denselben Absatz auf den Lieferbedingungen des Gemüsehändlers.
Fünf Minuten später ist er so weit. Er guckt wie ein verschrecktes Kaninchen. Ich lege das Dokument beiseite, das ich nun auswendig kann. Mir kommt eine Idee, also nehme ich das Blatt erneut in die Hand. Mit einem nachdenklichen Blick halte ich es Sascha entgegen.
„Lies.“
An diesem Abend schließt das Cook & Chill mit einer neuen Geschichte. Britta belehrt mich später, dass Analphabetismus in unserer Gesellschaft viel häufiger vorkommt, als man denkt. Dabei schlägt sie mir ein paar statistische Werte um die Ohren, die mich staunen lassen. Menschen wie Sascha lernen unter besonderen Umständen, um das Lesen und Schreiben einen Riesenbogen zu machen. Er wuchs bei seiner demenzkranken Oma auf, die schlichtweg vergaß, ihn regelmäßig zum Unterricht zu schicken. Letztlich floh er nach der neunten Klasse ohne Abschluss von der Schule, weil er den Druck nicht mehr ertrug. Auf dem Zeugnisblatt prangte eine Eins in Mathematik. Und eine Fünf in Deutsch. Ersteres wäre mir nie gelungen. Bis heute lavierte er sich so geschickt durch das Leben, dass keiner nur den geringsten Verdacht hegte. Er war weder dumm noch ungebildet. Am Fernseher hatte er jede wissenschaftliche Sendung in sich aufgesaugt, im Radio ständig Nachrichten gehört. Er liebt es, über die Welt zu philosophieren und politische Diskussionen zu führen. Sein Talent für Zahlen verschleierte sein Defizit noch zusätzlich. In brenzligen Situationen legte er notfalls einen Gipsverband an.
So schrieb er sich auch auf der Universität ein. Oder ließ sich einschreiben. Mit gefälschtem Abiturzeugnis in Bestnote marschierte er mit beidseitig verbundenen Händen auf die Immatrikulationsstelle und tischte der Sekretärin eine dermaßen bemitleidenswerte Geschichte auf, dass diese ihm hilfsbereit sämtliche Formulare ausfüllte. So wurde der Analphabet Sascha Engel offiziell Student der Fakultät Sozialwissenschaften, Studienschwerpunkt Politik, Mathematik im Nebenfach. Jede Vorlesung der letzten drei Jahre ist wie eine Datei in seinem Hirn gespeichert. Er besitzt unglaublich viel Ahnung von seinem Fach. Und hat keine einzige schriftliche Prüfung abgelegt. Jetzt ist er hier. Und aufgeflogen. Sein gesamtes Lebenskonstrukt kracht innerhalb eines Wimpernschlags in sich zusammen. Dieses Gefühl ist mir selbst hinlänglich vertraut. Er erhebt sich wackelig von seinem Stuhl und greift nach seiner Jacke.
„Dann gehe ich mal.“
„Kommst du morgen etwas früher?“
Er hält inne. Sieht mich ausdruckslos an. Schüttelt den Kopf. Das Ordnungssystem der Stadtbücherei kommt mir in den Sinn.
„Wir sortieren die Regale neu. Wir werden die Rubriken bunt kennzeichnen und kleine Punkte in den entsprechenden Farben auf die Buchrücken kleben. Ich werde jede Sendung vormarkieren. Und Du ordnest sie ein. Ich erwarte dich um acht.“
Sascha versteht mich nicht. Ich nicke nur kurz und wende mich irgendwelchen Unterlagen zu. Er steht da wie ein begossener Pudel in Mäusegröße. Besinnt sich, tritt auf mich zu und reicht mir eine schwitzige, heiße Hand. Ich halte sie ganz fest. Schließlich lächelt er und greift nach dem Türöffner, um das Büro zu verlassen.
„Und übrigens …“
„Ja?“
„Lüg´ mich bloß nie wieder an.“
13. Messerscharf
Ein guter Koch entwickelt eine persönliche Beziehung zu seinem Handwerkszeug. Für den Meister ist sein eigenes Messer das Einzige, das er nutzen möchte und das grundlegende Medium, über das er zu höchster Kunstfertigkeit in der Zubereitung von Speisen gelangt. Für einen Samurai entscheidet das Schwert maßgeblich über Sieg oder Niederlage. Der Vergleich mag seltsam anmuten, trifft aber den
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