Ausgespielt
decken.
Sie bricht ihrem Vater das Herz und sollte sich schämen.«
»Tja, auf jeden Fall liebt sie ihn abgöttisch, aber das ändert ja nichts.« Ich zog eine Visitenkarte heraus, auf deren Rückseite ich handschriftlich meine Privatnummer notiert hatte.
»Wenn Sie etwas von ihr hören, würden Sie mich dann bitte anrufen?«
Sie nahm die Visitenkarte und steckte sie in die Schürzen-tasche. »Ich hoffe, Sie finden sie. Er hat nicht mehr viel Zeit.«
»Ich weiß«, erwiderte ich. »Er hat gemeint, ihr Wagen steht noch in der Garage.«
»Gehen Sie hier durch die Hintertür. Das ist näher als vorn herum. Am Haken hängen die Schlüssel«, erklärte sie und zeigte auf die hintere Veranda und den Windfang, der durch die offene Tür hinter ihr zu erkennen war.
»Danke.«
Ich nahm die Schlüssel und ging quer über einen breiten gepflasterten Vorplatz auf ein Gebäude zu, das früher einmal das Kutschenhaus gewesen sein musste, nun aber zu einer 323
Garage mit vier Stellplätzen umgebaut worden war. Rags kam um die Hausecke geschlichen. Offenbar war es seine Aufgabe, An- und Abreisen und jegliches sonstige Geschehen auf dem Anwesen zu überwachen. Über der Garage war eine Reihe Dachfenster mit zugezogenen Vorhängen zu sehen, ein Hinweis auf Dienstbotenunterkünfte oder eine Wohnung – vermutlich Freddys. Eine Garage war leer, und das schwenkbare Tor stand offen. Ich benutzte es als Eingang und erspähte sofort Rebas BMW, der an der Wand gegenüber stand. Irgendwie hatte ich das Gefühl, Rags eine Erklärung schuldig zu sein, der mir auf den Fersen folgte. Auf der Fahrerseite stieg ich in den Wagen und setzte mich hinters Steuer. Dann schob ich den Schlüssel ins Zündschloss und kontrollierte den Benzinstand. Der Pfeil sauste bis ganz nach oben, was auf einen vollen Tank schließen ließ.
Ich beugte mich zum Handschuhfach hinüber, klappte es auf und wühlte mich ein paar Minuten lang durch Tankquittungen, abgelaufene Zulassungsformulare und ein Benutzerhandbuch.
Im Seitenfach zu meiner Linken fand ich weitere Tankquittungen. Die meisten stammten aus den drei bis vier Monaten, bevor Reba ins Gefängnis gewandert war. Die einzige Ausnahme war ein Beleg vom 27. Juli 1987, also letzten Montag. Sie hatte an einer Tankstelle an der Main Street in Perdido getankt, zwanzig Meilen südlich von hier. Ich schob die Quittung in die Hosentasche. Dann sah ich unter den
Vordersitzen, dem Rücksitz, den Fußmatten und im Kofferraum nach, entdeckte aber weiter nichts Interessantes. Ich verließ die Garage, hängte die Schlüssel wieder an den Haken im Windfang und holte mein Auto. Ein letztes Mal bekam ich Rags noch zu sehen, der auf der Veranda saß und sich in aller Ruhe putzte.
Ich kehrte auf den Highway 101 zurück und machte einen raschen Abstecher in meine Wohnung, wo ich mich nur so lange aufhielt, bis ich das Foto von Reba geholt hatte, das mir ihr Vater gegeben hatte. Ich faltete es, steckte es in meine Umhängetasche und machte mich auf den Weg nach Perdido.
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Der vierspurige Highway folgt den Konturen der Küste, die auf der einen Seite von Hügeln und auf der anderen vom Pazifik flankiert wird. An manchen Stellen ist die Kaimauer aus Beton praktisch verschwunden, und die Wellen donnern mit
imposanter Wucht gegen die Felsen. Surfer parken ihre Wagen am Straßenrand und schleppen ihre Surfbretter an den Strand. In ihren hautengen schwarzen Neoprenanzügen wirken sie so geschmeidig wie Seehunde. Ich zählte acht von ihnen im Wasser, breitbeinig auf ihren Brettern stehend, die Gesichter den Wellen zugewandt, während sie darauf warteten, dass die Brandung ihren nächsten Angriff auf den Strand startete.
Zu meiner Linken erhoben sich die steil ansteigenden baumlosen Hügel mit ihrem dichten Gestrüpp. Paddelförmige Kakteen hatten sich über große Flächen erodierenden Bodens ausgebreitet. Das vom winterlichen Regen begünstigte üppige Grün hatte wilden Frühlingsblumen Platz gemacht und war anschließend wieder zu einem Pulverfass der Vegetation geworden, bereit für die herbstlichen Feuersbrünste. Die Eisenbahnschienen verliefen zum Teil auf der den Bergen zugewandten Seite der Straße, unterquerten aber gelegentlich die Fahrbahn und zogen sich parallel zur Brandung entlang.
Am Ortsrand von Perdido nahm ich die erste Ausfahrt und fuhr auf der Main Street ins Zentrum, den Blick stets auf die Umgebung gerichtet. Ich entdeckte die Chevron-Tankstelle auf einem schmalen Stückchen Land direkt an der
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