Ausgeträllert (German Edition)
braucht man, um einen Menschen aufzuspießen? ... Nein, die Frage musste anders gestellt werden: Wie krank muss ein Hirn sein, um auf so eine Idee zu kommen, und wie irre muss man sein, um die Idee dann auch in die Tat umzusetzen? Oder: Wie groß muss der Hass sein, um jemandem das anzutun? Und nicht zuletzt hätte ich gerne gewusst, warum sich in meinem Leben seit zwei Jahren die Leichen stapelten ... Tatsächlich wusste ich mit Sicherheit nur eins: Ich hatte die nicht bestellt.
Bevor mein Hirn heißlaufen konnte, zog Morpheus die Notbremse, und ich wachte erst gegen Mittag auf. Natürlich rief ich nicht bei den Heibuchs an.
Den nächsten Nachmittag verwendete ich darauf, Doktor Thoma vom Café Madrid abzuholen. Das Pelzmonster sah lange keine Veranlassung, vom Buffet herunterzukommen und freiwillig in den von Elli geliehenen Transportkorb zu springen. Dass Hasselbrink und Raoul immer noch nicht wieder miteinander sprachen, machte die Sache nicht einfacher. Anstatt mir zu helfen, waren sie damit beschäftigt, die Kneipe für den Abend vorzubereiten, sich dabei aber möglichst mit drei Meter Abstand aus dem Wege zu gehen.
Nach einer halben Stunde hatte ich es endlich geschafft, die Bestie in den Käfig zu sperren. Raoul hatte Tränen in den Augen, aber nicht, weil meine Hände und Arme aussahen, als hätte ich in einen Häcksler gegriffen, sondern weil er Angst hatte, der Kater könnte in meiner Obhut binnen Wochenfrist den Hungertod sterben. Ich war kurz davor, die renitente Pelzwurst im Café Madrid zurückzulassen – wenn Raoul den Kater auf gegrillten Lachs mit Zitronenmelisse eingetuned hatte, konnte er auch gerne weiter fürs Cat-Catering aufkommen. Bevor ich den Vorschlag aussprechen konnte, hatte Kai-Uwe die Tür aufgerissen und mich samt Käfig hinausgeschoben. Raoul winkte dem Kater aus dem Küchenfenster zum Abschied mit einem Geschirrtuch.
Obwohl Doktor Thoma in seinem Käfig herumtobte wie ein Derwisch, nahm ich doch einen kleinen Umweg über die Kortumstraße in Richtung Boulevard, um einen Blick auf das Ritterlager zu werfen. Wer gedacht hatte, dass aus Gründen der Pietät der Markt abgesagt worden wäre, wurde beim Anblick der Menschenmassen eines Besseren belehrt. Das Mittelalter war so lebendig wie eh und je. Vermutlich hatte sich die Besucherzahl noch verdoppelt, weil die meisten gekommen waren, um am Tatort vorbeizudefilieren. Nach der Gruseltour konnte ein bisschen Mittelalter dann ja auch noch drangehängt werden.
Ich kam gerade rechtzeitig, um das Finale zwischen dem schwarzen und dem weißen Ritter zu sehen. Jedenfalls glaubte ich, dass es darum ging. Das Publikum feuerte die beiden lautstark an. Drei Tamboure mit riesigen Trommeln vor den Bäuchen schlugen im Takt der donnernden Hufe. Noch konnte ich gar nichts sehen und schob mich durch die Menge. Das Hufgetrappel der Schlachtrösser wurde schneller. An einem Weinausschank stand ein großes Fass. Ich kletterte hinauf. Endlich konnte ich über die Köpfe der Menschenmenge hinweg überhaupt etwas sehen. Der schwarze Ritter galoppierte keine fünf Meter von mir entfernt vorbei. Ich winkte ihm zu. Im nächsten Augenblick traf ihn die Lanze des weißen Ritters, und er flog in hohem Bogen in den Staub. Zwei der Löschzwerge kamen auf den Turnierplatz gerannt und halfen dem Verlierer, auf die Füße zu kommen. Ein dritter Zwerg rannte hinter Rolands Schlachtross her und machte allerlei Faxen dabei. Unter dem Applaus der Zuschauer wankte Roland vom roten Phoenix zu seinem Pferd, das sich wie Fury auf die Hinterbeine setzte, damit der gebeutelte Rittersmann wieder aufsitzen konnte. Legolas erhielt aus den Händen des schönen Burgfräuleins den goldenen Gral. Als er die Trophäe in die Höhe hob, konnte man deutlich erkennen, dass unter dem Pokal ein Preisschild klebte.
Ich stieg vom Fass herunter, nahm die Transportbox und ging weiter in Richtung Dr.-Ruer-Platz, um den Ort des Schreckens doch noch einmal in Augenschein zu nehmen. Schließlich war ich keine Tatorttouristin, also hatte ich mir nichts vorzuwerfen. Doktor Thoma hatte mittlerweile angefangen, zu spucken und Töne auszustoßen, die irgendwo zwischen sterbender Kreissäge und abstürzendem Flugzeug lagen. Die Leute lachten und einer fragte, was ich denn da im Käfig hätte.
»Babydrachen, eben geschlüpft«, antwortete ich und schob mich an der staunenden Familie vorbei.
Wo das Zelt von Heibuch gestanden hatte, war alles geräumt worden. In der Mitte des mit Flatterband
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