Ausgeträumt
Scheiße! Was’n das?! «
Grovers gab einen entnervten Seufzer von sich.
»Belane, an dem habe ich gut eine Stunde gearbeitet. Ich hab ihm die Backen ausgestopft, damit er gesund und ansprechend aussieht. Jetzt hat er wieder ganz eingefallene Wangen! Ich muß alles nochmal machen!«
»Entschuldigung, das hab ich nicht gewußt. Aber ich glaube, wir kommen der Sache näher. Machen Sie den nächsten Sarg auf. Bitte.«
»Machen Sie ihn auf. Ich finde das widerlich. Ich weiß nicht, warum ich so was zulasse. Ich muß verrückt sein.«
Ich ging zu einem Fichtensarg, hob den Deckel und sah rein. Und traute meinen Augen nicht.
»Soll das ein Witz sein, Grovers? Solche Witze macht man nicht. Ich finde das überhaupt nicht witzig!«
Die Gestalt, die im Sarg lag, war ich. Der Sarg war mit Samt ausgeschlagen, und ich hatte ein wächsernes Lächeln im Gesicht. Ich trug einen dunkelbraunen zerknitterten Anzug, und meine Hände lagen gefaltet auf der Brust und hielten eine weiße Nelke. Ich drehte mich zu Grovers um.
»Was zum Kuckuck ist hier los, Baby. Wo habt ihr den da her?«
»Oh, das ist Mr. Andrew Douglas. Er war eine führende Persönlichkeit hier am Ort und ist ganz plötzlich an Herzschlag gestorben.«
»Erzählen Sie keinen Scheiß, Grovers – der Steife da drin, das bin ich! Ich! «
»Quatsch«, sagte Grovers. Er ging an den Sarg und schaute rein. »Es ist Mr. Douglas.«
Ich schaute nochmal rein. Und sah einen alten weißhaarigen Knaben von siebzig oder achtzig. Er sah ganz gut aus. Sie hatten ihm Rouge auf die Backen getan und die Lippen ein bißchen angemalt. Seine Haut glänzte, als hätten sie Autopolitur verwendet. Aber ich war es nicht.
»Jeannie Nitro«, sagte ich. »Sie verdreht uns das Hirn.«
»Ich glaube, es liegt nur an Ihnen, Mr. Belane. Sie sind sehr durcheinander.«
»Klappe«, sagte ich. Ich mußte überlegen. Irgendwie ergab alles einen Sinn. Es mußte zusammenpassen. Ein Mann kam und blieb an der Tür stehen.
»Ich hab die Leiche fertig, Hal.«
»Danke, Billy. Kannst jetzt Schluß machen.«
Billy French machte kehrt und verschwand.
»Herrgott, Grovers, wäscht der sich nie die Hände?«
»Wieso? Was meinen Sie?«
»Er hatte rotes Zeug dran.«
»Blödsinn.«
»Doch, ich habs gesehn.«
»Mr. Belane. Möchten Sie auch noch in den dritten Sarg sehen? Er ist allerdings leer. Ein Herr hat ihn sich ausgesucht.«
Ich drehte mich um und starrte das Ding an.
»Liegt er da drin? «
»Nein, der Gentleman lebt noch. Es ist eine Vorbestellung. Darauf geben wir zehn Prozent Rabatt. Möchten Sie auch einen? Wir haben sehr schöne Stücke hier.«
»Nee danke, Grovers, ich hab jetzt ne Verabredung. Ich melde mich dann wieder.«
Ich drehte mich auf dem Absatz um, ging wieder durch die Halle und raus in die gute frische Luft. Wenn sich einer seinen eigenen Sarg aussucht, muß er ein verklemmter Wicht sein, der sechsmal die Woche an sich fummelt. Ich stieg in den VW, ließ den Motor an und zwängte mich in den fließenden Verkehr. Ein Kerl in einem Kleinbus dachte, ich hätte ihn geschnitten. Er zeigte mir den Finger. Ich revanchierte mich, indem ich dasselbe tat. Es begann zu regnen. Ich kurbelte das Fenster auf der Beifahrerseite hoch – das einzige, das ging – und stellte das Radio an.
25
Der Psychiater hieß Seymour Dundee. Ich fuhr mit dem Lift in die sechste Etage, und sein Wartezimmer war voll von Bekloppten. Ein Typ las eine Zeitung, die er verkehrt herum hielt. Die meisten Patienten, Männer wie Frauen, hockten stumm da. Man hatte den Eindruck, daß sie nicht einmal atmeten. Im Raum herrschte eine düstere, bedrückende Atmosphäre. Ich ließ mich von der Sekretärin eintragen und setzte mich auf einen freien Platz.
Der Kerl neben mir hatte einen braunen und einen schwarzen Schuh an den Füßen. »He, du«, sagte er.
»Ja?«
»Kannst du mal ’n Penny wechseln?«
»Nee«, sagte ich. »Nicht heute.«
»Morgen vielleicht?«
»Vielleicht morgen, ja.«
»Aber morgen find ich dich vielleicht nicht mehr«, beklagte er sich.
Hoffentlich, dachte ich.
Wir warteten und warteten. Die ganze Belegschaft. Wußte der Seelendoktor nicht, daß Warten zu den Dingen gehört, die einen in den Wahnsinn treiben? Das ganze Leben bestand doch schon aus Warten. Warten aufs Leben, Warten aufs Sterben. Selbst für Klopapier mußte man Schlange stehn und warten. Am Bankschalter: Anstehen und auf Geld warten. Und wenn man kein Geld hatte, wartete man woanders in einer noch viel längeren Schlange. Man wartete auf den Schlaf, und dann
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