Ausgewählte Übertreibungen: Gespräche und Interviews 1993-2012 (German Edition)
aufgegeben. So war der Konflikt mit den Kommissaren hier vorprogrammiert. Der verlief aufs Ganze gesehen ziemlich kurios, vielleicht auch, weil ich nicht als phänotypischer Yogi das Wort ergriff, weltabgewandt, idealistisch und esoterisch, sondern sehr von dieser Welt, doch mit einem anderen Weltbegriff. Seit dreißig Jahren steht der Gegensatz mehr oder weniger unaufgeklärt im Raum. Hin und wieder kam es zu Zusammenrottungen von neuen Kommissaren gegen einzelne meiner Interventionen – denken Sie an die seltsam mißratene Debatte vor zwei Jahren über die demokratische Neudefinition von Steuern aus dem Geist der Gabe. Der Vorgang war in gewisser Weise komisch. Da hat eine große Koalition aus Kommissaren einen Gedanken, der offensichtlich vom Yogi-Pol kam, niedergeknüppelt. Die Leute verstehen noch immer nicht, daß es mehr als einen Fortschritt gibt, mehr als eine Revolution, mehr als eine Anthropologie.
KLEIN: Wie wirkt es sich menschlich für Sie aus, wenn Ihnen neben mancher Kritik auch viel Bewunderung entgegenkommt? Was macht das mit Ihnen, alle die Projektionen Ihrer Leser und Fans zu tragen?
SLOTERDIJK: Ich sage jetzt etwas sehr Seltsames: Zuspruch von außen empfinde ich oft gar nicht. Ich fürchte, ich bin, wasApplaus angeht, seelenblind. Es ist mir nicht entgangen, daß manche Leser meine Arbeit schätzen, sowenig mir entgangen ist, daß es Versuche gegeben hat, sie zu entwerten. Den Beifall habe ich nicht überhört, aber er bringt mich nicht aus der Fassung, nur selten haben einzelne Leserstimmen mich tiefer berührt.
KLEIN: Das klingt für mich sehr paradox. Sie nehmen ja zugleich in Anspruch, auf äußere Reize sehr empfindlich zu reagieren.
SLOTERDIJK: Vielleicht sollte ich das etwas näher erklären. Ich spreche jetzt von der öffentlichen Wirkung von Büchern. Sehen Sie, bevor eine neue Arbeit die Werkstatt verläßt, muß ich sie erst einmal mir selber abnehmen. In diesem Moment bin ich mein Publikum, als solches will ich überzeugt werden. Meine Zustimmung ist nicht umsonst zu haben. In dem Augenblick, in dem ich etwas aus der Hand gebe, muß ich auch eine Vorstellung davon besitzen, auf welcher Stelle der Wertskala die Sache steht. Wenn es der Autor nicht weiß, wer sollte es sonst wissen? Ich glaube nicht an das Klischee vom somnambulisch vor sich hin produzierenden Verfasser, der wie ein reiner Tor am Schreibtisch Werke in die Welt setzt und erst durch die aufgeregte Reaktion der anderen erfährt, daß sie etwas taugen. Viele Künstler verstecken sich heutzutage hinter solchen Ich-weiß-nicht-Spielchen, indem sie so tun, als könne das hohe Publikum allein das Urteil über den Wert eines Werkes fällen. Ich denke, die Selbstbeurteilung des Autors, wenn er diesen Namen verdient, trifft meistens die Sache genausogut wie das Leserurteil, oft besser. Vielleicht muß man einen Rabatt für die übliche Selbstüberschätzung abziehen, danach erhalten wir einen realistischen Wert.
KLEIN: Das hieße, exzessive Selbstüberschätzung tritt gar nicht erst auf, wo die Urteilskraft nach innen ausreichend entwickelt ist. Dann wird man vom Urteil der Mitwelt auch nicht allzusehr überrascht. Doch dieses Über-den-Tellerrand-des-eigenen-Werkes-schauen-Können scheint eine Kunst zu sein, die nicht jedem gegeben ist.
SLOTERDIJK: Sagen wir so: Veröffentlichen heißt sich selber etwas durchgehen lassen. Das setzt ein internes Urteil über das hinreichend Gelungen-Sein eines Gebildes voraus. Ein solches Urteil fällt nicht, weil man im Rausch blinder Selbstliebe alles Eigene herrlich findet, im Gegenteil. Eher befindet man sich in einer starken Anspannung des Selbstzweifels, nur wenig darf die Schranke passieren. Kommt es zu dem Schluß, daß es so stehenbleiben kann, dann hat die Vorzensur ihre Arbeit getan. Das schließt nicht aus, daß andere Leute mit anderen Maßstäben zu anderen Wertungen gelangen. Der Autor ist eigentlich nur der, der »fertig« sagt. Alles übrige können die anderen auch, allein der Autor ist derjenige, der die Arbeit an einer Sache abbricht. Wann es soweit ist, bestimmt eine intime Evidenz.
KLEIN: Ihr Stil ist barock und nicht selten fulminant, hierin kommen Bewunderer und Kritiker überein. Inwiefern spielt Klarheit eine Rolle in Ihrer Auffassung von philosophischer Prosa?
SLOTERDIJK: In dieser Angelegenheit ist mein Urteil befangen. Ich selber empfinde meine Sachen als durchweg klar. Ich arbeite häufig mit Abkürzungen und Übertreibungen, technisch gesprochen mit
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