Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ausgezählt

Ausgezählt

Titel: Ausgezählt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K. H. Scheer
Vom Netzwerk:
»Bartheke« schwang eine Tür auf. Ehe wir den Unbekannten sahen, vernahmen wir eine hohe, weinerli che Stimme. In ihr kam aller Vorwurf dieser Welt zum Ausdruck. Sie war fast mitleiderweckend.
    Mir war, als hätte man mich plötzlich in eiskaltes Wasser getaucht. Ich erstarrte förmlich. Der hatte mir noch gefehlt!
    »Sie erlauben mir aber auch gar nichts«, klagte der Koloß, der sich soeben mühevoll durch die Tür zwängte.
    Ich erblickte ein feistes, völlig bartloses Gesicht mit rotgeäderten Hängewangen, einen wie eingeölt glänzenden Kahlkopf und einen flehentlich verzogenen Mund, der für dieses Gesicht viel zu klein war.
    Unter heftigem Schnaufen schob sich der Zweimeter-Gigant in den Schaltraum seines Kabinentrakts.
    Er trug juchtenlederne Stiefel, schwarze Pumphosen und darüber einen reichbestickten Russenkittel, den ein breiter Gürtel vergeblich über dem monströsen Leib zusammenzuhalten versuchte.
    Valerie Kojastnakow, der vom russischen Geheimdienst meistgesuchte Mann der an solchen Fahndungsaktionen nicht armen Geschichte der östlichen Abwehr, ruderte mit den Armen hilfesuchend in der Luft umher. Jeder seiner Finger war fast so dick wie Hannibals Handgelenk. Die Fettwülste an den Unterarmen wirkten bei dem theatralischen Gehabe wie geschwungene Keulen.
    »Sie deprimieren mich fürchterlich. Ich muß weinen«, jammerte der Hüne.
    Tatsächlich – über seine Wangen rannen plötzlich dicke Trä nen.
    Wenn ich dieses Genie nicht zu gut gekannt hätte; wenn wir auf Bitten der russischen Abwehr nicht schon seit zwei Jahren versucht hätten, ihn ausfindig zu machen, dann hätte ich ein Lachen nicht verkneifen können.
    Viele Leute hatten das nicht unterlassen können. Es gab aber niemand mehr, der sich nachträglich noch Selbstvorwürfe machen konnte. Wer Valerie Kojastnakow nur eine Sekunde lang unterschätzte, war so gut wie tot.
    Noch vor zwei Jahren war er stellvertretender Abwehrchef und General gewesen. Dann war es ihm ums Haar gelungen, nicht nur seinen Vorgesetzten, Gregor Iwanowitsch Gorsskij, zu ermorden, sondern überdies noch die gesamte Regierung und die führenden Militärs aller Waffengattungen.
    Nur ein unwahrscheinlicher Zufall hatte seine totale Machtübernahme verhindert. Wenn es ihm gelungen wäre, hätte die endlich vereinte und befriedete Menschheit über Nacht mit einem nuklearen Gewaltakt rechnen müssen.
    Dieser eunuchenhafte Komödiant hatte selbst kluge Männer getäuscht. Und nun war er hier!
    Er schluchzte noch einmal herzzerreißend, ließ sich in einen überdimensionalen Sessel fallen und streckte beide Hände aus.
    »Treten Sie näher, meine Freunde, treten Sie näher. Willkommen«, rief er bitterlich klagend. »Mein großes Herz steht Ihnen offen, meine Seele gehört Ihnen. Leid wurde Ihnen zugefügt, wirkliche Untaten. Drei Tage ohne frischen Sauerstoff in einem engen, düsteren Verlies, liegend auf dem Grunde der feindlichen See – entsetzlich! Ich bin dreimal ohnmächtig geworden, als ich von Ihrem endlosen Leid hörte. Treten Sie näher.«
    Ja – das war Valerie Kojastnakow! Wer ihn nicht kannte, mußte sich erst einmal fragen, ob er lachen oder weinen sollte. Ein Schmierenkomödiant war gegen ihn eine Niete, denn derart übertreiben konnte nicht einmal ein Anfänger.
    Für Valerie war das aber die Rolle seines Lebens. Nur einmal hatte ich von ihm eine klare und exakte Aussage gehört. Wir hatten sie auf Videoband vom russischen Geheimdienst erhalten.
    »Ein unförmiges Riesenfaß meiner Art kann es sich nicht erlauben, den beherrschten, kaltschnäuzigen Helden zu spielen. Nehmen Sie die Aussage mit ins Grab.«
    Wir hatten auch noch die Salve seines Exekutionskommandos gehört. Ein fähiger Wissenschaftler der Abwehr war damals gestorben.
    Seitdem hatten wir, die GWA-Schatten, Ex-General Valerie Kojastnakow nie anders erlebt als jetzt, in dieser unwirklichen Umgebung.
    Hannibal hüstelte. Natürlich – der Zwerg hatte sich über Valerie immer amüsiert und ihn doch nicht so ernst genommen, wie er es verdiente. Ich war da anderer Meinung.
    Wir standen noch immer vor dem Eingang und sahen zu ihm hinüber. Ich wußte, daß er seinen Auftritt genoß. Andere Menschen derart intensiv zu verblüffen, bereitete ihm ein fast abartiges Vergnügen. Er unternahm daher keinen wirklich ernstgemeinten Versuch, sofort zur Sache zu kommen. Er erwartete sogar, daß wir wie gebannt auf dem gleichen Fleck verharrten.
    Dann kam sein nächster Gag. Ich kannte ihn schon aus einem

Weitere Kostenlose Bücher