Ausgezählt
hinter ihm war zugezogen. Eine Funzel über der Küchenzeile im Eck spendete Licht.
Die Augen des Zeugen waren blutunterlaufen und blauschwarz umrändert. Der Revolver zitterte. Der Kerl brüllte: »Verschwindet!«
Bruno erkannte ihn.
Ingenpass.
Engel hob eine Hand und nestelte mit der anderen am Gürtel. Er ließ das Holster fallen. »Sehen Sie, wir tun Ihnen nichts. Wir sind nur gekommen, um zu reden. Das hat unser Mittelsmann doch lang und breit erklärt.«
Ingenpass zielte auf Bruno. Er riss die blutroten Augen auf. Er konnte die Waffe nicht ruhig halten.
Engel beschwor ihn: »Sie brauchen keine Angst zu haben. Wir beschützen Sie. Mein Kollege …«
»NEIN! NEIN!«
»Hören Sie mir doch zu! Mein Kollege ist Spezialist auf dem Gebiet der Beamtendelikte. Die Männer …«
»VERSCHWINDET ENDLICH!«
»Die Männer, gegen die Sie aussagen, können Ihnen nichts anhaben. Dafür garantieren wir.«
Der Kerl zitterte immer stärker.
Bruno hob ebenfalls die Hände.
Ingenpass wich zurück, bis er den Vorhang berührte. Dann ging alles viel zu schnell.
Der Kerl steckte den Lauf seiner Waffe in den Mund und zog ab. Leeres Klicken. Die Trommel drehte sich weiter. Ingenpass nuckelte am Lauf und würgte.
Bruno sprang auf ihn zu.
Der Kerl drückte ein zweites Mal ab. Der Hahn traf eine volle Patrone.
Ein Knall. Ein schmutziger Fleck auf dem Vorhang – Ingenpass stürzte gegen das Fenster und sank zu Boden.
Der Schuss hallte als Klingeln in Brunos Ohren nach. Er sah, dass Engel zu ihm sprach, und hörte kein einziges Wort.
Der Kriminalrat griff nach dem Telefon, das auf einem Beistelltisch neben dem Fernseher stand. Bruno kniete sich neben Ingenpass und suchte vergeblich nach Lebenszeichen. Von dem, was Engel in den Hörer brüllte, verstand er kaum etwas.
Er dachte an Pawlow. An die Hunde, die der legendäre Verhaltensforscher abgerichtet hatte. An Richie Seberich, der Pawlows Tiere als Beispiel genannt hatte.
Ingenpass muss für den Rest des Lebens Schiss haben, sonst hat das keinen Sinn.
Das Klingeln ließ nach, allmählich kehrten die Geräusche zurück: Autos auf der Straße, aufgeregte Rufe der Nachbarn im Treppenhaus, ein Martinshorn, das sich näherte.
Er hörte Engel, der Bruno schüttelte und auf ihn einredete.
Er vernahm sein eigenes Keuchen.
Teil fünf
Puma
61.
Der Morgen des letzten Trainingstags. Bruno verausgabte sich auf der Aschenbahn. Der so genannte Cooper-Test: zwölf Minuten bei größtmöglichem Tempo.
Janssen kontrollierte mit der Stoppuhr und schrie sich fast die Seele aus dem Leib. Bruno verfehlte das Acht-Runden-Ziel nur knapp. Der Trainer lobte ihn: Wettkampfform erreicht.
Bruno hatte ein besseres Ergebnis erhofft.
Er bewegte die Maschinen, als könne er an ihnen den Sieg gegen Janosch erzwingen. Er stemmte noch einmal die Hanteln, bis die Muskeln zitterten.
Dehnübungen und Auslaufen. Ein paar Sprüche des Trainers, die aufmunternd gemeint waren. Janssen wirkte wie ein Gespenst. Bruno fragte lieber nicht nach seiner Tochter.
Zu Hause holte er das heiße Bad nach, das gestern Abend ausgefallen war.
Hannah meldete sich nicht.
Für halb zwei hatte ihn Engel ins Präsidium bestellt. Um eins suchte Bruno die Kantine auf. Ela Bach und Thilo Becker saßen in ihrer Ecke und stocherten in ihren Tellern. Bruno gesellte sich zu den Mordermittlern.
Sie konnten ihm nichts bahnbrechend Neues im Fall Klee berichten. Die aktuelle Theorie lautete, dass Silberkuhl mit einem Komplizen die drei Opfer überfallen und abgeschlachtet habe. Beim Versuch, das Heroin loszuwerden, sei der ehemalige Einkäufer ermordet und in den Rhein geworfen worden – von dem Komplizen oder von Leuten aus dem Junkie-Milieu. Die Untersuchungen konzentrierten sich jetzt auf die Szene um den Hauptbahnhof. Die Mordkommission Klee umfasste nur noch sechs Beamte, aber die Süchtler vom KK 34 unterstützten sie, so gut sie konnten.
Ela äußerte sich abfällig über Kriminalrat Engel, der ihr obendrein einen Suizidfall aufhalsen wollte. Ein Kerl namens Ingenpass habe sich in seiner Wohnung per Schusswaffe gehimmelt und die Mordermittler sollten mithelfen, das Umfeld des Selbstmörders zu durchleuchten – als hätten sie nicht schon genug zu tun.
Der Kriminalrat sei ein Fanatiker. Der Lange habe nicht mehr alle Tassen im Schrank. Behandle einen albernen Suizid, als sei er der wichtigste Fall seit dem Saunamord vor zwei Jahren. Der Kripochef denke bereits darüber nach, den Langen zu entsorgen, behauptete
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