Ausgezählt
des Grauschopfs und entdeckte Tobias Lauffer, den jungen Taxifahrer. Das Narbengesicht stand neben dem Haupteingang und hob den Daumen kurz in Pommers Richtung. Der Grauschopf schüttelte den Kopf.
Der Sprecher kündigte den ersten Vorkampf an. Zwei Junioren aus Gerresheim und Kamp-Lintfort, junge Bürschchen mit klobigem Kopfschutz, der zu locker saß. Die Jungen hatten mehr Schiss vor dem Publikum als vor dem Gegner.
Janssen brachte Bruno die Handschuhe. Rot und kleiner als die, mit denen er trainiert hatte. Der Coach verschnürte sie, band Schleifen am Gelenk und umwickelte es mit breitem Klebeband.
»Merk’s dir, der Kampf findet im Kopf statt. Was die Kondition anbelangt, bist du ihm ebenbürtig.«
»Ich hoff’s.«
»Nein, du musst es wollen! So sehr, dass du an nichts anderes denken kannst!«
Bruno versuchte es. Er hüpfte auf der Stelle und schwang die Arme. Er ließ den Kopf kreisen, um das Genick zu lockern. Janssen schmierte ihm das Gesicht mit Vaseline ein, damit die Haut nicht so rasch platzen konnte.
Die Stimme des Sprechers dröhnte durch die Halle. Kohlenpottdialekt, der Bruno an einen bekannten Fußballkommentator erinnerte: »Wie Sie alle wissen, dient der Erlös dieses Abends den Hinterbliebenen der tapferen Polizeibeamten, die im November letzten Jahres einem Polizistenmörder zum Opfer gefallen sind. Wie wir eben erfahren haben, wurde vor wenigen Stunden in dieser Stadt ein neuer, feiger Mord an einem Polizeikollegen verübt. Der Veranstalter hat entschieden, den Kampf trotzdem nicht abzusagen, denn verschieben bedeutet zurückweichen und Schwäche zeigen – ein falsches Signal im Kampf gegen das Verbrechen. Wir wünschen uns, dass der Mörder von Markus Seberich so rasch wie möglich gefasst und verurteilt wird. Der Erlös dieses Abends soll auch seiner Familie zugute kommen.«
Donnernder Applaus. Soviel Bruno wusste, war Richie kinderlos und unverheiratet gewesen.
»Markus Seberich wurde vierundvierzig Jahre alt. Er war Kriminaloberkommissar und befand sich im Dienst, als er getötet wurde. Seine Freunde nannten ihn Richie. In ihrem Gedenken bleibt Richie der unbescholtene Kämpfer für Recht und Ordnung. Ich bitte Sie, mit einer Schweigeminute des Ermordeten zu gedenken.«
Tausendfaches Stühlerücken. Jeder erhob sich. Der Malerfürst faltete die Hände. Der Mattscheibenstar nahm den Hut ab. Max Pommer rieb sich die Augen. Lara nahm den Grauschopf in den Arm.
Bruno versuchte erneut, seine Mutter zu erspähen. Er zählte die Reihen ab. Offenbar saß sie in einem Winkel, den sein Blick nicht erreichte.
Die Stille war vollkommen, nicht einmal ein Husten.
Der Sprecher dankte.
Die erste Hymne dröhnte los – schwellende Computerklänge. Janssen hängte den Mantel über Brunos Schultern. Silberner Stoff, TuS Gerresheim in Rot auf dem Rücken.
Janssen brummte: »Bring deine Fäuste. Täusch ihn, wie ich’s dir beigebracht habe. Deck ihn mit Finten ein, bis er offen ist. Dann nach vorn. Aber verausgab dich nicht!«
»Werd ich nicht.«
»Aber auch nicht zu langsam sein. Und keine Blöße geben!«
Der Spot erfasste Bruno. Ein Klaps schickte ihn auf den Steg. Techno-Beats setzten ein. Bruno erinnerte sich an seine Rolle. Er deutete ein Tänzeln an und ließ die Arme schlenkern.
Pfiffe und Applaus hielten sich die Waage.
Sein Blick suchte Lara. Der Verfolgerspot blendete. Vier Seile umspannten den Ring, sechs mal sechs Meter auf einem Podest hoch über dem Hallenboden. Elastischer Belag, obenauf eine Plane. Bruno blieb mit dem linken Fuß am Seil hängen und überspielte das Stolpern mit einem Tänzeln. Er winkte ins Publikum.
Zurufe und vereinzeltes Klatschen.
Der Stadionsprecher umklammerte ein drahtloses Mikro. Bruno erkannte ihn. Es war tatsächlich der Fußballkommentator. Bruno hörte die Ruhrpottstimme doppelt – das Echo dröhnte aus den Boxen der Saalanlage. Der Sprecher legte sich mächtig ins Zeug. »IN DER RRROTEN ECKEEE …«
Das Pott-Organ zählte Brunos Größe, Gewicht und Alter auf. Dreißig Siege, fünf davon durch Knock-out. Keine Niederlage – eine Bilanz, die sich sehen lassen konnte.
»BRRRUNOOO WEGMANN, DER PUMAAA!«
Brunos Beitrag zum Affentheater: Er riss die Arme hoch und drehte sich in alle Richtungen.
Der Jubel wurde lauter. Die Pfiffe überwogen.
Die Hymne wurde erneut aufgedreht. Heroisch wirkende Akkorde zum stampfenden Rhythmus.
Janosch erschien im schwarzen Mantel. Der Hammer hopste schattenboxend auf den Ring zu und zeigte die Zähne.
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