Ausgezählt
und sein Partner verabschiedeten sich.
Sie schritten hinaus auf den Parkplatz. Bruno schnupperte die Abendluft – gereinigt vom Regen, gekühlt vom Wind, der von der Nordsee aus ins Land zog.
Kästner brummte in Vorfreude auf seine Verabredung. Dabba-dabba …
»Mit Clapton hat das nichts zu tun«, stellte Bruno fest.
»Layla«, erläuterte der Kahle mit verträumtem Blick. »Meine Döner-Lady.«
»Viel Spaß«, antwortete Bruno und war sich nicht sicher, ob er das auch meinte.
Er fuhr nach Norden in den Stadtteil Lohausen. Ein ruhiges Wohnviertel, zumindest zwischen den Landeanflügen der Jets, die den benachbarten Rhein-Ruhr-Flughafen ansteuerten. Die Grundstücke waren vergleichsweise günstig. Die Klees lebten seit Jahrzehnten hier.
Nagelsweg 39 – Bruno erreichte das Haus fünf Minuten früher als vereinbart. Er stellte den alten Saab neben dem Jägerzaun ab.
Während seiner Freundschaft mit Fred war das zweigeschossige Eigenheim mit dem großen Garten zu Brunos zweitem Zuhause geworden. Hierhin war er geflohen, wenn es ihm in der Gerresheimer Mietwohnung zu eng wurde. Wenn ihm seine Mutter auf die Nerven ging.
Auch Freds Vater war geschieden. Heinz Klee hatte jedoch rasch wieder geheiratet. Mit der Stiefmutter war Fred nicht gut zurechtgekommen. Ihre Töchter interessierten ihn nicht. Sie waren noch Kinder.
Bruno verstand sich blendend mit dem Antiquitätenhändler. Freds Vater hatte immer Geschichten auf Lager – Insiderklatsch aus Düsseldorfs Schickeria. Klee hatte Verbindungen, war mit dem Innenminister zur Schule gegangen. Reiche Leute aus der ganzen Region zählten zu seinen Kunden. Angeblich wirkte Klees Charme vor allem auf Frauen. Fred hatte Bruno gegenüber nur Andeutungen gemacht. Der Kumpel vergötterte seinen Vater.
An manchen Sonntagen spielten sie Doppelkopf. Klee und Bruno, Fred und Karen – Bruno hatte gespürt, wie es war, wenn man eine richtige Familie hatte.
Nach der Kambodschareise war das zu Ende gewesen.
Vor ein paar Jahren hatte Bruno den Antiquitätenhändler auf dem Markt getroffen – Klees Laden lag unweit des Karlsplatzes. Eine peinliche Begegnung. Smalltalk, als sei nichts gewesen. Keiner von ihnen erwähnte Angkor. Zwei Tage später hatte Heinz Klee angerufen und ihn zum Essen eingeladen. Bruno schwänzte. Er hatte keine Lust, sich über Kambodscha zu unterhalten oder über Fred, der in Thailand geblieben war.
Vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, alles auf den Tisch zu packen.
Bruno schloss das Auto ab. Im Haus der Klees war Licht. Laute Musik drang über den Rasen bis zur Straße. Jubelnde Geigen, schmetternde Trompeten, eine Sinfonie. Bruno öffnete das Tor im Jägerzaun. Ein Plattenweg führte an verwilderten Beeten vorbei.
Die Haustür stand offen. Die Klänge schwollen an und dröhnten in bombastischer Wiederholung. Schlussakkorde.
Als Bruno den Fuß in den Flur setzte, brach die Musik ab.
Die Stille vibrierte. Unwillkürlich hielt Bruno den Atem an.
»Herr Klee?«
Das Knarren der Dielen unter seinen Sohlen und das Ticken einer antiken Standuhr waren die einzigen Geräusche, die noch zu hören waren.
»Herr Klee!«, wiederholte Bruno.
Als Antwort kam ein Summen und Dröhnen von draußen. Eine Fensterscheibe klirrte. Geschirr in der Kommode klapperte. Nach ein paar Sekunden war es vorbei. Das Haus lag mitten in der Einflugschneise.
Die offene Tür passte nicht zu den Klees. Die Zimmer standen voller wertvoller Stücke. Freds Eltern schlössen stets ab, auch wenn sie zu Hause waren.
Das Wohnzimmer. Auf dem Tisch eine geöffnete Handtasche. Über einer Sessellehne ein Wollmantel, ein zweiter auf dem Teppich. Sonst war alles aufgeräumt.
Bruno bemerkte das Blut.
Tropfenförmige Spritzer auf dem Regal mit chinesischem Porzellan und quer über der Wand. Sogar die Decke mit den angeklebten Stuckverzierungen hatte etwas abbekommen. Bruno wich zurück.
Er stolperte über einen Arm.
Vor einer Vitrine mit kleinen Bronzefiguren lag Stefanie, die ältere der beiden Stiefschwestern. Bauchlage, reglos, wie hingeworfen – unter dem weißen schulterfreien Kleid war eine rötliche Lache hervorgetreten.
Bruno fasste in das gewellte Haar, das über die Schultern fiel, und tastete nach der Halsschlagader, um den Puls zu fühlen. Er griff in eine tiefe Wunde und begann zu zittern.
Kein Lebenszeichen.
Daumennagelgroße Blutspritzer auf dem Parkett. Ein größerer Fleck im Durchgang zum Esszimmer. In der dickflüssigen Schmiere strampelte eine Fliege.
Weitere Kostenlose Bücher