Ausnahmezustand
bemühen uns mehr um die kosmische Ordnung.
In dem anderen der beiden Zimmer warten wie jeden Nachmittag schon die Schüler des Trommlers.
TROSTLOSE NORMALITÄT
Afghanistan I, Dezember 2006
Der Mensch verändert sich so wenig
«Es ist noch immer ein Privileg, Afghanistan zu besuchen», schrieb der Schriftsteller und Photograph Nicole Bouvier, der 1953 mit seinem Fiat Topolino von der Schweiz aus über Kabul bis nach Bombay fuhr: «Bis vor nicht allzulanger Zeit war es eine Leistung. Da die britische Armee Indien nicht zuverlässig unter Kontrolle halten konnte, blockierte sie hermetisch die östlichen und südlichen Zugänge. Die Afghanen ihrerseits verpflichteten sich, keinen Europäer in ihr Gebiet einzulassen. Sie haben beinah Wort gehalten und sind sehr gut damit gefahren.» Kaum einem Dutzend westlicher Draufgänger sei es bis 1922 gelungen, Afghanistan zu besuchen, schreibt Bouvier. Die Gelehrten hätten weniger Glück gehabt. Mußte der Orientalist James Darmesteter sich damit begnügen, seine Informanten in pakistanischen Gefängnissen zu besuchen, weil er es nicht über den Khaiber-Paß schaffte, wartete der Archäologe Aurel Stein zwanzig Jahre auf sein Visum und erhielt es gerade rechtzeitig, um in Kabul zu sterben. «Heute genügt ein bißchen Takt und Geduld, um sich das kostbare Visum zu verschaffen, doch wenn man nach Einbruch der Dunkelheit im Grenzort Laskur-Dong an der Straße Quetta – Kandahar eintrifft, ist niemand da, dem man es vorlegen könnte. Kein Zollbüro, kein Schlagbaum, keine wie immer geartete Kontrolle, nur das weiße Band der Piste zwischen den Lehmhäusern und das Land offen wie eine Mühle.»
Während sein Reisegefährte im Ort den Zollbeamten sucht, schläft Bouvier, der sich an der Hand verletzt hat, im Auto ein. «Das Geräusch der Tür ließ mich jäh auffahren: Ein alter Mann hielt mir eine Laterne unter die Nase, während er auf Persisch heftig auf mich einredete. Er trug einen weißen Turban, ein weißes Gewand, einen wohlgepflegten Bart und um den Hals eine Kette mit einem faustgroßen silbernen Siegel. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, daß dies der Zollbeamte war. Er hatte sich eigensherbemüht, um uns gute Fahrt zu wünschen und mir die Adresse eines Arztes in Kandahar zu geben. Seine Kleidung, sein ganzes Auftreten, die Liebenswürdigkeit, mit der er seine Amtspflichten ausübte, machten mir diesen alten Mann so sympathisch, daß ich ihn blödsinnigerweise – um ihn nicht in Ungelegenheit zu bringen – darauf aufmerksam machte, daß unser Visum seit sechs Wochen abgelaufen war. Er hatte es schon selbst bemerkt, ohne sich darüber sonderlich aufzuregen. In Asien hält man sich nicht so genau an den Stundenplan, und warum sollte man uns im August die Einreise verweigern, die man uns für den Juli gestattet hätte? In zwei Monaten verändert sich der Mensch so wenig.»
Richtig verrückt
Der Besucher, der Ende November 2006 in Afghanistan eintrifft, zieht am Flughafen Kabul eine militärische Schutzweste und einen Helm an. Britische Soldaten fahren mich in einem Konvoi aus gepanzerten Landrovern in das Hauptquartier der ISAF, der ausländischen Truppen, die den Wiederaufbau des Landes militärisch absichern sollen. Von der Stadt sehe ich nur einen Schlitz, kleiner als die Fenster der Burkas, die in Kabul nur noch wenige Frauen tragen. Als mich die Soldaten nach der dritten PowerPoint-Präsentation, die mit dem obligaten Schlachtruf
winning hearts and minds
begann, zu einem Ausbildungszentrum der afghanischen Armee bringen, wird mir immerhin die Erlaubnis erteilt, wie ein Wachmann aus der Dachluke zu schauen. «Alamo» heißt das Lager aus Containern, Fertighäusern und Zelten, in dem die amerikanischen Ausbilder leben.
– Finden Sie es nicht schade, daß Sie überhaupt nichts von der Stadt sehen? frage ich den freundlichen Offizier, der mich herumführt.
– Ach, das ist kein Problem, antwortet First Sergeant Weber: Wenn ich mal raus will, dann frage ich drei Kollegen, und wir fahren zum Hauptquartier oder nach Bagram zu unseren Jungs.
Es müssen drei Kollegen sein, weil die ausländischen Truppen grundsätzlich nur in Konvois aus mindestens zwei gepanzerten Wagen à zwei Soldaten durch die Stadt fahren dürfen. Manche Soldaten finden es selbst merkwürdig, daß man dem Volk, dem man doch helfen wolle, nur mit Schutzweste, Helm und geladenem Maschinengewehr begegne. Aber das sei nun einmal notwendig aus Gründen der Sicherheit. Natürlich
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