Ausnahmezustand
Mubarak-Regimes geplant gewesen? Und mag der Staat in Pakistan auch nicht selbst am Terrorismus beteiligt sein, so hätte er doch sicherlich Möglichkeiten, die Terroristen zur Rechenschaft zu ziehen.
– Wir jedenfalls, bekräftigt Herr Aziz, sind grundsätzlich gegen Gewalt und respektieren auch das Recht jener, die eine andere Meinung oder einen anderen Glauben haben als wir.
Ich frage Herrn Aziz nach Salman Taseer, dem Gouverneur der Provinz Pundschab, der ermordet wurde, weil er das Blasphemie-Gesetz abschaffen wollte.
– Wir haben beide Seiten zum Dialog aufgerufen, antwortet Herr Aziz, Salman Taseer und seine Ankläger.
Einerseits sei es in einer islamischen Gesellschaft grundsätzlich nicht erlaubt, Selbstjustiz zu üben. Andererseits habe Salman Taseerdie religiösen Empfindungen vieler Menschen verletzt. Daher habe die Islamische Gemeinschaft die Justiz aufgefordert, tätig zu werden. Im übrigen schütze das Blasphemie-Gesetz die religiösen Gefühle aller Menschen, auch der Christen, Sikhs und Hindus.
– Aber wenn die Jamaat die Selbstjustiz ablehnt – verurteilt sie dann die Ermordung Salman Taseers? frage ich.
– Wir haben beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen, bekräftigt Herr Aziz.
– Ja gut, aber nun hat sich die eine Seite offenbar nicht gemäßigt, sondern den Beschuldigten ermordet, hake ich nach: Finden Sie das in Ordnung?
– Wir haben beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen, wiederholt Herr Aziz.
– Aber den Mord, verurteilen Sie ihn?
– Wir haben beide Seiten zur Mäßigung aufgerufen.
– Ja, aber meine Frage war…
– … und das war meine Antwort, sagt er und zuckt milde lächelnd mit den breiten Schultern.
Als ich mich von Herrn Aziz und seinen Mitarbeitern verabschiede, bedankt sich auch mein Fahrer für den Tee und die freundliche Gesellschaft.
Das Fest
Am Schrein des Misri-Schah in Lahore sind nach dem Nachtgebet zwar unzählige Menschen, auch im Hof und auf den Straßen ringsum, aber nach dem rauschenden Fest, das mir angekündigt wurde, sieht es nicht aus: keine Musik zu hören, niemand tanzt, niemand gerät außer sich. Vor allem aber ist es merkwürdig dunkel, auch im Schrein selbst, dessen Decken andererseits vielfarbig mit Lametta geschmückt sind. Die wenigen Lampen erzeugen ein dämmriges Licht, das die andächtige Stimmung untermalt. Viele Menschen beten, wiederholen rituelle Formeln, mit denen sie sich in Gott versenken, oder rezitieren leise den Koran; andere scheinen einfachnur zu warten oder schlendern zwischen den Säulen, kaum jemand spricht.
Ob es das schon gewesen oder wieder nur ein Stromausfall ist, frage ich mich und suche mir ein freies Stück Teppich zum Sitzen. Ein Stromausfall, stellt sich heraus, als der Schrein zwanzig Minuten später auf einen Schlag taghell wird. Sofort ertönen Rufe, daß Gott größer sei, und Lobpreisungen des Heiligen, dessen Fest also beginnen kann. Während im Schrein selbst Gottes weiterhin still gedacht wird, schwillt vom Hof her das Stimmengewirr an, Plaudern, Kichern, Lachen. Keine zwei Minuten später ist schon der Qawwali zu hören, der von Harmonium und Trommeln untermalte Gesang der pakistanischen Mystiker.
Ich trete nach draußen, wo zwischen den Bäumen Lichterketten und bunte Wimpel hängen, um mich in dem dichten Gedränge zu den Musikern durchzuschlagen, die nach der langen Wartezeit im Dunkeln nun um so schneller in Fahrt zu kommen scheinen. Unter den Zuhörern drehen sich die ersten Köpfe, dann schon die ersten Leiber. Neben mir steht ein junger Malang mit orangefarbenem Turban über den langen Haaren, einer schwarzen Fleece-Jacke und einem Blick so sanftmütig wie ein Himmelsbote. Mit den Händen frage ich, ob ich ihn photographieren darf, und zeige ihm anschließend das Display meiner Kamera, da legt er lachend seine Hand auf meinen Kopf, ob zum freundlichen Spott oder zum wertvollen Segen. Die Musik hat ihren ersten Höhepunkt gerade hinter sich gelassen, als ein paar Meter entfernt lauthals Trommeln und Blechbläser zu scheppern beginnen. Der Qawwal-Sänger blickt genervt auf und hebt die Stimme wieder an, um sich zu behaupten, merkt aber bald, daß er gegen diese unlautere Konkurrenz keine Chance hat, versucht es noch drei, vier Minuten mit ein paar Tremolos, bevor er den Musikern das Zeichen gibt, eine Pause einzulegen.
Die Trommler und Blechbläser haben nun wirklich nichts Mystisches, und virtuos sind sie auch nicht; es geht ihnen mehr darum, so scheint es, durch größtmögliche
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