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Ausnahmezustand

Ausnahmezustand

Titel: Ausnahmezustand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Navid Kermani
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Security Assistance Force
, darunter in arabischen Lettern der Schriftzug in der Landessprache Dari:
komak o hamkâri –
«Hilfe und Zusammenarbeit».
    Wer mit der NATO in Afghanistan unterwegs ist, muß deren Konzept nicht weniger kritisch sehen, die humanitäre Hilfe als Teil der militärischen Strategie zu behandeln, die darauf zielt, den Truppen ein sicheres Umfeld zu sichern und Informationen zusammeln. Er kann dem Begriff «humanitär» mißtrauen, der inflationär geworden ist (bis hin zu den «humanitären Bomben», die ein NATO-Sprecher auf den Kosovo fallen sah). Aber auf der persönlichen Ebene entwickeln sich Verständnis und hier und dort sogar Bewunderung, wie ich es vor der Reise nicht für möglich gehalten hätte. Ich habe nicht nur offizielle Gespräche und sogenannte
briefings
. Die meiste Zeit bin ich bloßer Beobachter, in Militärflugzeugen, in Panzerwagen, in Kantinen und provisorischen Bars, auf den Straßenpatrouillen im Rücken der Soldaten, in Zelten und Wartehallen. Überhaupt das Warten: Mit dem Militär zu reisen, lehrt wahrscheinlich besser als jedes Meditationsseminar Geduld. Und nirgends lerne ich die Soldaten besser kennen, als wenn ich stunden- oder tagelang mit ihnen warte.
    Es wird Soldaten geben, die dem Klischee von Rambos entsprechen, allein, ich treffe sie nicht an. Statt dessen treffe ich junge deutsche Rekruten, die ihren persönlichen Auftrag, den Menschen in Afghanistan zu helfen, so klar, reflektiert und glaubwürdig formulieren, wie es keinem Werbefilm der Bundeswehr gelänge. Ich treffe keinen Offizier, dem ich erklären müßte, daß man Herzen und Gemüter einer Bevölkerung nicht gewinnt, indem man Bomben über ihren Köpfen abwirft. Statt dessen höre ich allerorten Kritik an den Amerikanern, die mit ihren Durchsuchungen, Bombardements und willkürlich scheinenden Verhaftungen das Ansehen und damit die Sicherheit der übrigen Soldaten gefährdeten. Dabei beteuern auch die Amerikaner in Gesprächen, daß sie doch nur helfen wollten.
    Als er das erste Mal nach Afghanistan geschickt wurde, sagt First Sergeant Weber, der sich ehrlich zu freuen scheint, als er mich in der Kantine des Hauptquartiers wiedersieht, habe er gedacht, er komme für eine militärische Operation. Aber bald habe er gemerkt: Das Zivile sei viel wichtiger. Erfolg und Mißerfolg ihrer Mission würden sich im humanitären Bereich entscheiden. Das sei für ihn der Grund gewesen, daß er gern zum zweiten Mal in Afghanistan Dienst leiste: Weil es ihn erfülle, zu sehen, wie er konkret helfen könne. Es sei doch selbstverständlich, daß man als Mensch lieber helfe als kämpfe.
    First Sergeant Weber hat nichts Martialisches an sich. Im hellen Gesicht, auf dem sich rote Äderchen abzeichnen, trägt er stets ein gutmütiges Lächeln unterhalb des blonden Schnurrbarts, und wenn er den Helm ablegt, setzt er einen Schlapphut auf. Mit Augen, die plötzlich aufleuchten, berichtet der Sergeant von den afghanischen Dörfern, in denen seine Kompanie medizinische Hilfe geleistet habe, von den Gesprächen mit den Dorfältesten, von den Frauen und Kindern, die gelacht hätten. Er berichtet allerdings auch von dem Mullah, der einige Tage nach ihrem Besuch von den Taliban gehängt worden sei. Danach seien die Frauen in dem Dorf nicht mehr zu ihren Ärzten gekommen.
    Ich wende ein, daß die Afghanen das amerikanische Auftreten offenbar immer negativer wahrnähmen, und frage, ob er ihren Unmut nachvollziehen könne.
    – Ja, sagt First Sergeant Weber. Wenn wir mit unseren Autos unterwegs sind, müssen wir aus Sicherheitsgründen immer sehr schnell und rücksichtslos fahren. Ich würde mich als Afghane auch darüber ärgern.
    Ich sage, daß ich nicht das Verkehrsverhalten, sondern die vielen zivilen Opfer meine; ob ihm das als Soldat Gewissensbisse bereite.
    – Mein ultimativer Albtraum ist es, daß ein Kind mit einer Spielzeugpistole auf mich zielt. Ich glaube nicht, daß ich dann schießen würde.
    – Aber die Luftangriffe, setze ich nach. Ein Dorf von oben zu bombardieren ist doch etwas völlig anderes, als vor jemandem zu stehen, der mit einer Waffe auf einen zielt.
    Mit 2095 Angriffen von Juni bis September 2006 hat die amerikanische Luftwaffe mehr Einsätze gehabt als jemals zuvor in Afghanistan. Zum Vergleich: Im Irak fanden im gleichen Zeitraum 88 Luftangriffe statt.
    – Glauben Sie mir, das ist jedesmal eine unendlich schwierige Entscheidung, einen Luftangriff anzuordnen, versichert der Sergeant.
    – Und was

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