Ausnahmezustand
Taliban im Süden Afghanistans eine breite Unterstützung zurückgewonnen hatten, als das Kommando von den Amerikanern an die NATO überging.
– Welche Gründe?
– Sehen Sie, als wir das Kommando übernahmen, waren wir von der Situation, die wir vorfanden, selbst überrascht. Die Amerikaner hatten ihre Stützpunkte, von denen aus sie Terroristen jagten. Wir als NATO wollten in die Fläche gehen, damit das Land sich entwickelt.
– Warum ist in den fünf Jahren zuvor kaum Entwicklungsarbeit geleistet worden?
– Die Mission der Amerikaner im Süden war eine andere, es ging nicht primär darum, das Land wieder aufzubauen, sondern den Feind zu bekämpfen. Als wir mit dem Aufbau beginnen wollten, merkten wir, daß es überhaupt keine Sicherheit gab. Wir wurden angegriffen, ohne darauf vorbereitet zu sein. Überall waren Feinde. Wir hatten Probleme, es gab viele zivile Opfer, zu viele zivileOpfer, unsere eigenen Verluste waren hoch. Das waren die Nachrichten vom Sommer, die Berichte von Gefechten, von Krieg, als man im Westen von der Irakisierung Afghanistans sprach. Aber: Wir haben die Schlacht gewonnen. Die Taliban mußten sich zurückziehen. Seit Oktober ist die Zahl der Toten deutlich zurückgegangen. Es ist ruhiger. Wir versuchen, die Hilfsorganisationen zu überzeugen, die Arbeit im Süden nun endlich aufzunehmen. Wir beginnen mit Zonen, in denen die Sicherheit gewährleistet ist, und weiten sie dann Schritt für Schritt aus. Die NATO hat erkannt, daß sie mehr tun muß für den Wiederaufbau. Wir müssen den Afghanen beweisen, daß es ihnen ohne die Taliban besser geht. Das ist eine bessere Strategie als Krieg.
Ich frage, ob das Problem nicht in der Struktur des Wiederaufbaus liege: daß ein Großteil der Hilfsgelder die Afghanen nicht erreicht.
– Ja, gesteht Brigadegeneral Nugee ein.
– Und die PowerPoint-Präsentationen?
– Werbefernsehen, winkt Colonel Moss ab.
– Die vielen zivilen Opfer – laufen sie nicht dem Ziel zuwider, die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen?
– Wir wissen, daß jeder getötete Zivilist uns hundert neue Feinde schafft, sagt Brigadegeneral Nugee und fährt mit einem Anflug von Erregung fort: Wir machen Fehler. Wir wissen genau: Afghanistan ist militärisch nicht zu gewinnen. Wir brauchen nicht unbedingt mehr Ressourcen fürs Militär, aber für zivile Projekte. Für den Wiederaufbau ist Sicherheit die Voraussetzung. Die Frage ist berechtigt, warum in den Jahren, als wir im Süden noch keine gravierenden Sicherheitsprobleme hatten, so wenig in den Wiederaufbau investiert wurde.
– Wo wäre Afghanistan ohne den Krieg im Irak?
– Well, seufzt diesmal Colonel Moss, was soll ich sagen, das ist eine eigene Diskussion, ob der Irakkrieg richtig war, aber für Afghanistan kann ich so viel sagen, daß wir natürlich weiter wären. Ich kann es nicht bemessen, aber wir wären weiter. Gleich wie, hier ist nicht der Irak –
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.
–Die größte Sorge, fährt Brigadegeneral Nugee fort, die größte Sorge, die wir haben, ist, daß irgend etwas passiert, was die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft auf sich zieht, und Afghanistan ein weiteres Mal vergessen wird.
Die Gespräche dauern länger als geplant.
– Es war wirklich interessant, mit Ihnen zu sprechen.
– Vielleicht sehen wir uns zu einem Drink im Offiziersclub wieder.
Humanitärer Einsatz
Ich bin auf dieser Reise Gast der NATO, die in Afghanistan das Kommando über die ausländischen Truppen stellt, derzeit 32 500 Soldaten. Aus ihrer Perspektive blicke ich auf das Land. Das ist neu für mich, aber üblich geworden für den Journalismus, auch wenn es nicht üblich ist, das zu erwähnen. Afghanistan ist nicht der Irak. Ich hätte mit einer zivilen Maschine einreisen und mich als Ausländer im größten Teil des Landes frei bewegen können. Die Sicherheitslage ist noch nicht so prekär, daß man als Zivilist eine Montur tragen müßte, die von außen wie der Anzug eines Astronauten anmutet und sich von innen so schwer anfühlt. Von Afghanen freundlich empfangen zu werden, dürfte noch immer (oder wieder) die Regel sein. Aber wer beobachten möchte, wie sich das Selbstverständnis des westlichen Imperiums seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion verändert hat, sollte nicht nur von außen auf die gepanzerten Fahrzeuge blicken, mit denen der Westen durch immer mehr Länder fährt, um deren Ordnung zu bewahren oder wiederherzustellen. ISAF steht auf den Uniformen der Soldaten,
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