Ausradiert: Thriller (German Edition)
ich nichts sagen«, erwiderte Petrov. Wie kräftig seine Stimme klang! Und es lag Verachtung darin, wohl verborgen.
»Aber Sie denken es«, sagte der Verteidiger. Der Verteidiger spürte die Verachtung – Nick erkannte es an der Art, wie er leicht den Unterkiefer vorschob – und reagierte darauf. »Sie halten sich für das schärfste Werkzeug im Schuppen.«
»Ist das eine Frage?«, erkundigte sich Petrov.
»Aber sicher«, sagte der Verteidiger.
»Muss ich darauf antworten, Euer Ehren?«
»Der Zeuge wird die Frage beantworten«, wies die Richterin aus dem Hintergrund an.
»Ich bin eher so etwas wie ein Laubbläser«, sagte Petrov.
Gelächter. Nick lachte ebenfalls; so kühn, so unerwartet, und doch keine schlechte Metapher für seine Arbeit.
»Finden Sie das komisch?«, fragte der Verteidiger, seine Wut deutlich erkennbar an der Art, wie er in seinem Notizbuch blätterte. Vielleicht um wieder Haltung zu gewinnen, bat er den Gerichtsstenographen um eine Wiederholung aus der Mitschrift.
»Frage«, rief der Gerichtsstenograph: »Was sagte der Gefangene auf dem Rückweg aus Mexiko? Antwort: ›Sie haben mich.‹«
»›Sie haben mich.‹ Klingt eindeutig. Praktisch ein Geständnis.« Er wirbelte zu Petrov herum. »Aber in Ihrer Aussage vom 11. Juni geben Sie die Worte des Angeklagten folgendermaßen wieder: ›Wieso glauben Sie, dass ich es war?‹ Kein Schuldeingeständnis, eher die verletzte Reaktion eines Unschuldigen. Nun, angesichts der Tatsache, dass Sie unter Eid stehen, welche Ihrer Antworten sollen die Geschworenen glauben?«
Auweia. Eine Falle. Nick hatte sie nicht kommen sehen, begann nervös zu werden; aber Petrov nicht. Nick konnte spüren, wie dessen Selbstvertrauen unter Druck sogar noch wuchs. »Beide«, sagte er.
»Beide? Sind Sie sich darüber im Klaren, was mit Ihrer Zulassung geschieht, wenn Sie sich selbst der Falschaussage bezichtigen?«
Petrov schien vollkommen gelassen. »Durchaus. Als ich die Aussage machte, wurde ich nur nach den ersten Worten des Angeklagten gefragt – ›Wieso glauben Sie, dass ich es war?‹. Die zweite Bemerkung – ›Sie haben mich‹ – machte er erst, nachdem ich ihm beschrieben hatte, welchen Spuren ich gefolgt war. Außerdem äußerte er sich noch ein drittes Mal, kurz bevor ich ihn auslieferte.«
Nicks Erinnerung erwachte: Keine Erinnerung an die Aussage, die ihm nach wie vor völlig neu war, als sähe er einen Film zum ersten Mal, aber an die Fahrt von Mexiko zurück, Ty Canning in Handschellen neben ihm auf dem Beifahrersitz, der Gefangene äußerte die beiden Bemerkungen in jener Reihenfolge, genau wie Petrov gesagt hatte.
Der Verteidiger wirkte argwöhnisch. »Dritte Äußerung?«
Während er aus dem Inneren der MRT-Röhre zuschaute, stellte sich Nick dieselbe Frage: welche dritte Äußerung?
Petrov beantwortete sie. »Der Angeklagte sagte außerdem: ›Ich habe jede Minute davon genossen.‹«
Ty Canning, den man nur von hinten sah, sprang auf, donnerte mit der Faust auf den Tisch. »Einen Scheiß habe ich«, brüllte er. Pandämonium. Die Kamera ging näher heran. Nick hörte den Klang des richterlichen Hämmerchens. Eine Werbesendung wurde eingeblendet. Das MRT verstummte. Billie schaltete den Fernseher ab.
Dr. Tully kam aus dem Kontrollraum herein. »Das war’s«, sagte er. »Was denken Sie?«
»Wissen Sie das nicht schon?«
Dr. Tully lachte. »Das wird uns kein Test jemals verraten.«
»Klopfen Sie auf Holz«, bemerkte Billie, die das Band aus dem Gerät nahm. Nick wandte sich ihr zu. Ihre Blicke trafen sich zum ersten Mal auf eine Weise, die nichts mit Krankheit zu tun hatte.
»Ich meinte, ob Sie irgendwelche Erinnerungslücken füllen konnten?«, sagte Dr. Tully.
Nick schüttelte den Kopf. Doch es gab eine Erinnerung, die er wirklich finden wollte, nicht an die Aussage selbst, sondern an diese Autofahrt: die Erinnerung daran, dass Ty Canning sagte: »Ich habe jede Minute davon genossen.« Irgendetwas – dieser neue, Untertöne erkennende Sinn – sagte ihm, dass ihm das niemals gelingen würde. Der Untertöne spürende Sinn war eine Art Scanner, eine Art emotionales MRT, und er hatte in Petrovs Miene gelesen. Nick wollte nicht, dass Petrov einen Meineid leistete, gleichgültig aus welchem Grund. Vielleicht funktionierte der Scanner manchmal nicht richtig, und Ty Canning hatte diese dritte Äußerung gemacht, was bedeuten würde, dass das Ganze nur Teil des Erinnerungsproblems war. Seltsam zu hoffen, dass das
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