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Ausradiert: Thriller (German Edition)

Ausradiert: Thriller (German Edition)

Titel: Ausradiert: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Abrahams
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Stimme zu ihm, so wirklich, so klar, dass Nick abrupt den Kopf drehte, um auf den Beifahrersitz zu sehen. Die Stimme sagte:
    Nikolai? Kannst du mich hören?
    Der Sitz war selbstverständlich leer, Nick allein im Auto. Aber es war die Stimme seines Vaters, unverwechselbar – kühl, distanziert, überlegen. Nick schoss von der Straße, schlingerte auf der sandigen, rutschigen Böschung, hielt den Wagen an. Stille. Nick lauschte und hörte nichts als den Wind, nicht heftig, aber stetig, der in allem raschelte, was rascheln konnte. Er hatte sich die Stimme eingebildet, war müder, als er geglaubt hatte, sollte vermutlich umdrehen, sich einen Platz zum –
    Nikolai? Kannst du mich hören?
    Die Stimme seines Vaters, noch deutlicher jetzt, keine Erinnerung daran, wie sein Vater geklungen hatte, sondern der Klang selbst. Nick sah in die Nacht hinaus, entdeckte in der Ferne die schimmernden Lichter einiger Häuser, aber keine Menschen und sicherlich nicht seinen vor langer Zeit verstorbenen Vater.
    Nikolai? Mittlerweile in diesem schneidenden, ungeduldigen Ton.
    »Ja«, erwiderte Nick. »Ich höre dich.«
    Willst du leben oder sterben?
    »Selbstverständlich leben.«
    Keineswegs selbstverständlich. Viele würden lieber sterben, aber es fehlt ihnen an Mut. Stille. Du hättest Chemie studieren sollen, wie ich es dir geraten habe. Als Chemiker kann man eine ausgezeichnete Karriere machen. Als Chemiker kann man eine ausgezeichnete Karriere machen. Als Chemi–
    »Aufhören.«
    Stille.
    Aber jetzt reden wir über die Zukunft. Sagt dir der Begriff spontane Remission irgendetwas, Nick?
    »Ja«, erwiderte Nick.
    Bitte definiere ihn.
    Das war sein Vater; absolut kein Vertrauen in den Sohn. »Wenn Krebs von selbst verschwindet«, erklärte Nick.
    Hat man dich gelehrt, einen Begriff so zu definieren?
    Musste er sich das anhören? »Wenn du was zu sagen hast, dann sag es.«
    Wie redest du mit mir?
    »Sag es.«
    Die Stimme verstummte, und die Stille dauerte an. Nick zweifelte erneut an ihrer Existenz. Doch keine Stimme, eine Art Einbildung, vielleicht eine Klanghalluzination, die andeutete, dass sich in seinem Gehirn etwas veränderte, vielleicht war ein neuer Bereich –
    Finde das Mädchen, Amanda.
    Die Stimme dröhnte jetzt wie eine Fanfare, so geladen mit allen Bestandteilen echten Klangs, dass seine eigenen Gedanken untergingen, als wäre ein Fünfzigtausend-Watt-Sender in sein Gehirn implantiert. Nick presste die Hände auf die Ohren. Es half nicht.
    Das ist der Weg zur spontanen Remission.
    »Ich finde das Mädchen und lebe?«, fragte Nick, ebenfalls mit erhobener Stimme.
    Ja.
    »Ich finde das Mädchen, und der Krebs verschwindet?«
    Was ist daran so schwer zu begreifen?
    »Aber das ist absurd.«
    Tatsächlich?
    »Schlimmer als absurd. Verdreht, falsch. Was für eine Welt wäre das, in der so was funktioniert?«
    Die Stimme verstummte. Nick blieb, wo er war, im Auto am Straßenrand. Der Himmel normalisierte sich, als würde jemand am Regler drehen, die Schwärze dominierte, die Sterne mäßigten ihr Funkeln. Die Stimme kehrte nicht zurück.
    Nick saß am Straßenrand, die Hände am Steuer, auf dem Weg nach nirgendwo. Die Stimme seines Vaters, der seit fast sechzehn Jahren tot war; ein Opfer des Friedens oder vielleicht eines eingebildeten Fehlers von Karl Marx. Die Geschichte konnte man in wenigen Worten zusammenfassen: Fall der Berliner Mauer, Kündigung des Vertrages seines Vaters mit der CIA, Verlust von Arbeitsstelle und Geld, das verstörende Bewusstsein, die Bedeutung seines Lebens überlebt zu haben. Wenn die Mauer nicht gefallen, der Kommunismus ein wenig ansprechender gewesen wäre, würde sein Vater vermutlich noch leben. Wie die Dinge lagen, hatte er sich erschossen, während er zusah, wie Reagan im Fernsehen seine Abschiedsrede hielt.
    Nicks eigenes Leben war von Bedeutung, er wusste das, sicherer als je zuvor. Finde das Mädchen und lebe. Klang auf verrückte Weise willkürlich, aber das war auch Glioblastoma multiforme, Grad IV, das aus heiterem Himmel zuschlug. Vielleicht bestand die einzige Antwort auf Willkür in ebenso willkürlicher Reaktion.

    Nick parkte am Ende des Calico Way, nur wenige Schritte von dem Schutthaufen entfernt, der einst George Rummels Trailer gewesen war, nahm seine Taschenlampe aus dem Handschuhfach, duckte sich unter dem gelben Absperrband durch. Der harte, steinige Grund war noch immer feucht, die trockene Luft und trockene Erde hatten es noch nicht geschafft, das Wasser aus den

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